Heinrich von Treitschke

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Heinrich von Treitschke

Heinrich Gotthardt von Treitschke (* 15. September 1834 in Dresden; † 28. April 1896 in Berlin) war ein deutscher Historiker, politischer Publizist und Mitglied des Reichstags von 1871 bis 1884, zunächst als nationalliberaler Abgeordneter, ab 1878 ohne Parteizugehörigkeit. Er war einer der zu seiner Zeit bekanntesten und meistgelesenen Historiker und politischen Publizisten in Deutschland.

Mit einem 1879 veröffentlichen Aufsatz löste Treitschke den Berliner Antisemitismusstreit aus. Dieser Aufsatz enthält den Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zum Schlagwort des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde.

Leben und Wirken

Herkunft und Ausbildung

Heinrich von Treitschke stammte aus einer sächsischen Beamten- und Offiziersfamilie und war evangelischer Konfession. Die Vorfahren stammten aus Böhmen und wanderten wegen ihrer evangelischen Konfession im Dreißigjährigen Krieg nach der Schlacht am Weißen Berg nach Sachsen ein. Sein Vater war der sächsische Generalleutnant Eduard Heinrich von Treitschke, sein Onkel der Jurist Georg Carl Treitschke und sein Vetter der General Heinrich Leo von Treitschke. Er studierte 1851 bis 1853 Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er im Wintersemester 1851/52 der Burschenschaft Frankonia beitrat und wo er durch den Historiker Friedrich Christoph Dahlmann beeinflusst wurde, und danach auf Drängen seines Vaters vor allem Staats- und Kameralwissenschaften an der Universität Leipzig. Schon als Student litt er an zunehmender Schwerhörigkeit, was auch den Besuch von Vorlesungen behinderte. Wegen der besseren Bibliothek ging er für seine Promotion in Nationalökonomie an die Eberhard Karls Universität Tübingen zu Wilhelm Roscher und vollendete seine Dissertation zum Dr. iur. (Titel: Quibusnam operis vera conficiantur bona, Über die Produktivität der Arbeit) während eines zweimonatigen Aufenthalts in Freiburg im Breisgau. Eingereicht wurde sie in Leipzig. Danach ging er nach Heidelberg, wo er wegen eines Pistolenduells einige Zeit im Karzer saß, und wandte sich dann nach Dresden und wegen der besseren Bibliothek nach Göttingen, wo er in eineinhalb Jahren seine Habilitation schrieb, die er 1858 in Leipzig bei Roscher einreichte („Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch“). Er schwankte in dieser Zeit, ob er Dichter oder Journalist werden wolle, versuchte sich an Gedichten und einem Drama. Auf Einladung von Rudolf Haym wurde er 1858 Mitarbeiter der neu gegründeten Preußischen Jahrbücher und fand durch seinen Aufsatz Über die Grundlagen der englischen Freiheit, in dem er die Vorteile des politischen und Rechts-Systems in England gegenüber der staatlichen Willkür deutscher Verhältnisse pries, bei Liberalen Aufmerksamkeit. 1858 veröffentlichte er seine Streitschrift Die Gesellschaftswissenschaften, in der er diese von Robert Mohl und Wilhelm Heinrich Riehl vertretene Denkrichtung aus etatistischer Sicht kritisierte (die Untersuchung der Gesellschaft konnte nach Treitschke nicht unabhängig von der des Staates erfolgen), und er veröffentlichte einen Essay über Heinrich von Kleist, in der noch seine zuvor aufgegebenen literarischen Neigungen nachwirkten und denen später weitere Essays und Skizzen von Literaten folgten. 1859 wurde er Privatdozent in Leipzig und lehrte dort außerdem ab 1862 Nationalökonomie an der Landwirtschaftlichen Akademie in Plagwitz, wandte sich aber zunehmend von der Nationalökonomie ab. Seine Vorlesungen in Leipzig zum Beispiel über preußische Geschichte (was an einer sächsischen Universität ungewöhnlich war), europäische und deutsche Geschichte fanden schon 1861 über 200 Hörer. Gleichzeitig kam es zu einem Zerwürfnis mit seinem Vater, dem General, der für ihn eine andere Karriere geplant hatte und von ihm verlangte, nichts der sächsischen Regierung gegenüber Kritisches zu sagen, dem Treitschke nicht nachkommen wollte. Als seine Mutter Marie von Oppen (1810–1861) starb, teilte ihm die Familie das so spät mit, dass er nicht an der Beerdigung teilnehmen konnte. Da er in Leipzig wenig Aussicht auf Beförderung sah, trotz seines Erfolgs als Hochschullehrer, verbrachte er viel Zeit zum Beispiel in München. 1863 wurde er zum außerordentlichen Professor für Staatswissenschaften in Freiburg im Breisgau ernannt. 1866 übernahm er eine ordentliche Professur für Geschichte und Politik an der Universität Kiel, wobei es Widerstände in der Fakultät gab wegen seiner offensiven Art und politischen Auffassung der Geschichtswissenschaft, und 1867 an der Universität Heidelberg. 1873 wurde er als Nachfolger auf den Lehrstuhl Leopold von Rankes an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufen, nachdem Jacob Burckhardt den Ruf im Jahr zuvor abgelehnt hatte. Johann Gustav Droysen war gegen seine Berufung, die aber unter anderem von Hermann von Helmholtz betrieben wurde, der mit Treitschke befreundet war.

1886 wurde er nach dem Tod von Ranke offizieller Historiograph des Preußischen Staates.

Wirken in Preußen

Seit 1858 war Treitschke Redakteur der Zeitschrift Preußische Jahrbücher. Dabei vertrat er anfänglich eine liberale Einstellung und brach sogar 1863 mit den Preußischen Jahrbüchern, für die er ein eifriger Autor gewesen war, da diese sich im Verfassungskonflikt auf Bismarcks Seite stellten. Nach der Reichsgründung 1871 schloss er sich aber den Nationalliberalen an und unterstützte die preußische Staatsidee und Reichskanzler Otto von Bismarck, den er anfangs als Liberaler noch bekämpft hatte. Dabei sah er vor allem Sozialdemokraten und Juden, aber auch liberale Befürworter der Parlamentarisierung des Reiches sowie Vertreter der freigeistigen Bewegung als Gegner. Treitschke wurde später aus der Redaktion der Preußischen Jahrbücher verdrängt. Sein langjähriger Mitherausgeber Hans Delbrück, der nach Treitschkes Tod auch dessen Lehrstuhl übernehmen sollte, führte die Jahrbücher weiter.

Von 1871 bis 1884 war Treitschke zudem Mitglied des Reichstages, bis 1878 als Angehöriger der nationalliberalen Partei, später parteilos.

1886 wurde Treitschke offizieller Hofhistoriograph des preußischen Staates. Objektivität in der Geschichtsschreibung lehnte er ab und er galt in der späteren Wahrnehmung als Inbegriff des politisierenden Historikers (daher die Wortschöpfung Treitschke redivivus von Thomas Nipperdey).[1] Treitschke stellte seine historische Arbeit in den Dienst politischer Ziele. Sein Hauptwerk, die fünfbändige Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert (1879–1894), das mit der Schilderung der Vorboten der Revolutionen 1848/1849 in Frankreich, Italien und der Schweiz eher abbricht als schließt, legitimiert die Politik Preußens und seine herausragende Stellung. Gleichzeitig versuchte er die eigenstaatliche Existenz der süddeutschen Monarchien, insbesondere Bayerns, zu delegitimieren, indem er deren Souveränität als Ergebnis ausschließlich der französischen Politik bewertete. Von den Reformen Montgelas nahm Treitschke nur insoweit Kenntnis, als er dessen Defizite betonte. In seiner Geschichtsschreibung tritt allenthalben die Idee einer deutsch-französischen Erbfeindschaft entgegen. Auf die zeitgenössischen Leser wirkten vor allem die vielen biographischen Skizzen, nicht nur von Staatsmännern, sondern auch von Literaten und anderen Persönlichkeiten. Treitschkes an Personen orientierte Geschichtsschreibung drückt sich in einem seiner bekanntesten Zitate aus seiner Deutschen Geschichte aus: Männer machen Geschichte.[2] Seine Deutsche Geschichte erlebte viele Auflagen und fand im gebildeten Bürgertum weite Verbreitung, und die Tantiemen machten ihn finanziell unabhängig.

Das Buch stieß aber auch auf heftige Kritik unter Historikerkollegen, insbesondere von seinem ehemaligen Freund Hermann Baumgarten ab 1883, der ihm zu große Parteinahme für Preußen und Vernachlässigung wissenschaftlicher Sorgfalt vorwarf,[3] was zu einer breiten Kontroverse führte (siehe Treitschke-Baumgarten-Kontroverse). Ein Motiv des politisch liberalen Baumgarten war auch seine Enttäuschung über die politische Kehrtwendung eines früher liberalen Weggenossen. Treitschke wurde aber auch von Historikern wie Bernhard Erdmannsdörffer, Gottlob Egelhaaf und Heinrich von Sybel verteidigt, und ein Gutachten von Sybel führte dazu, dass Treitschke für die ersten beiden Bände der Deutschen Geschichte 1884 den Verdun-Preis erhielt, den bedeutendsten Historikerpreis des Kaiserreiches. Treitschke war von der Kritik enttäuscht, fühlte sich aber durch den publizistischen Erfolg gleichzeitig ermutigt und erweiterte sein Werk über den ursprünglich geplanten Umfang hinaus auf fünf jeweils rund 800 Seiten starke Bände.

Treitschke übte großen Einfluss auf jene Generation von Studenten aus, die in der Endphase des Kaiserreiches und auch noch in der Weimarer Republik die Regierung und Verwaltung Deutschlands prägten. Der schwerhörige Treitschke, der seine Vorlesungen leidenschaftlich und laut vortrug (und aufgrund seiner fast völligen Taubheit keine Seminare abhielt und auch keine Schule bildete)[4], erfreute sich insbesondere bei Corpsstudenten größter Beliebtheit. Seine lebendig und mit rhetorischem Geschick vorgetragenen Vorlesungen waren häufig überfüllt und zogen auch Hörer außerhalb der Universität an und waren gesellschaftliche Ereignisse. Zu seinen Hörern und Studenten zählten auch viele prominente Persönlichkeiten und spätere Vertreter imperialistischer Strömungen im Deutschen Reich wie Alfred von Tirpitz, Friedrich von Bernhardi, Carl Peters und Heinrich Claß. Zu seinen Hörern gehörten aber auch Persönlichkeiten wie Friedrich Meinecke, Erich Marcks, Gustav Beckmann, Karl Liebknecht, W. E. B. Du Bois, Georg Simmel. Frauen ließ er zu seinen Vorlesungen nicht zu.[5] Als ihn die Intellektuelle Helene Stöcker anfragte, ob sie bei ihm hören dürfe, antwortete er: „Die deutschen Universitäten sind seit einem halben Jahrtausend für Männer bestimmt, und ich will nicht dazu helfen sie zu zerstören.“[6]

Treitschke befürwortete eine deutsche Monarchie und betrachtete den Monarchismus als historisch gewachsenes Erbe, deshalb begrüßte er die Reichseinigung unter preußischer Führung nachdrücklich. Thomas Gerhards[7] zufolge vertrat er kein imperialistisches Gedankengut; allerdings wurde Treitschke zu Beginn des Ersten Weltkriegs insbesondere von englischen Historikern als einer der wesentlichen Vertreter des deutschen Imperialismus wahrgenommen, wobei Mitschriften seiner Vorlesungen herangezogen wurden (insbesondere sein Buch Politik). Die Engländer, denen Treitschke in einem häufig zitierten Ausspruch[8] vorgehalten hatte, „Seife mit Zivilisation“ zu verwechseln, betrachteten Treitschke zu dieser Zeit als Kronzeugen und Inbegriff einer tief verwurzelten militaristischen Gesinnung der Deutschen und stellten ihn in eine Reihe mit dem in der damaligen Kriegsschulddebatte viel zitierten Friedrich von Bernhardi sowie Friedrich Nietzsche.[9] Der britische Historiker Gordon A. Craig betrachtete Treitschke aufgrund seiner Forderung nach einer „Zerschlagung der britischen Seemacht“[10] und seiner emotionsgeladenen, „wilden“ Sprache ebenfalls als einen der Vordenker des deutschen Großmachtstrebens, das zum Ersten Weltkrieg führte. Seine ursprünglich positive Einstellung zu England (er war ein guter Kenner der großbritannischen Verhältnisse und der englischen Literatur und hatte unter anderem einen Essay über John Milton geschrieben) hatte sich aufgrund der wenig preußenfreundlichen britischen Haltung im Krieg gegen Dänemark 1864 und im Einigungskrieg 1870/71 gegen Frankreich abgekühlt und war teils in Erbitterung umgeschlagen, was ein von Treitschke negativ erlebter Aufenthalt in England 1895 (seine erste Reise auf die Insel) noch verstärkte.[11] Kommende Konflikte mit England im Falle einer Weiterverfolgung der (von Treitschke grundsätzlich befürworteten) kolonialen Ambitionen Deutschlands sah er voraus, war aufgrund der bedrohlichen Konsequenzen für das isolierte Deutsche Reich aber Gegner eines Krieges mit England in der aktuellen Konstellation.

Vehement bekämpfte Treitschke seit den 1870er Jahren Sozialisten wie seinen Professorenkollegen und ehemaligen Freund, den „Kathedersozialisten“ Gustav Schmoller, und wetterte häufig gegen Katholiken, Juden und Engländer. Schon in seinem einflussreichen Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 stellte er Polen und andere Slawen grob abwertend dem nach seiner Auffassung positiven, kultur- und staatsbildenden Einfluss der Deutschen (in Form des Deutschen Ordens) gegenüber.[12] Die nationalistische Geschichtsauffassung und die überaus positive Wertschätzung des Deutschtums blieben das markante Merkmal seiner Geschichtsdarstellung und prägten auch seine Zuhörer und Anhänger.

Heinrich von Treitschke war von 1866 bis 1889 (neben Hans Delbrück) Herausgeber der Preußischen Jahrbücher. 1895/96 war er Herausgeber der Historischen Zeitschrift.

Berliner Antisemitismusstreit

Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zur Parole des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Treitschke formulierte diesen Satz in seiner Denkschrift Unsere Aussichten (1879), die durch judenkritische Aussagen für Aufsehen sorgte. Dabei stellte er dar, diese Überzeugung entspreche dem breiten, parteiübergreifenden Konsens und werde von allen Zeitgenossen „wie aus einem Munde“ geteilt, aber aufgrund des „weichlichen“ und „philanthropischen“ Zeitgeistes und liberaler „Tabuisierung“ in der Presse nicht offen ausgesprochen.

Der Aufsatz, in dem Treitschke die Forderung nach Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Juden erhebt, löste den Berliner Antisemitismusstreit aus, eine bis 1881 anhaltende Debatte, die auf große Anteilnahme in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands stieß und im Ergebnis trotz eines vordergründig negativen Ausgangs für Treitschke den Antisemitismus gesellschaftsfähig machte.[13] Der Kern der Polemik Treitschkes richtet sich gegen den unterstellten Willen der Juden, ihre kulturelle Eigenart offensiv gegen das Deutschtum zu behaupten, was Treitschke als undankbar und frech charakterisierte, da sie der ihnen gewährten Emanzipation doch die Teilhabe am Leben der Nation verdankten. Die Lösung der „Judenfrage“ sei der Weg der Assimilation, der aber nur von wenigen Einzelnen wie Gabriel Rießer oder Felix Mendelssohn beschritten worden sei, während sich das Gros der Juden dagegen sperre. Nach seiner politischen Theorie ging er davon aus, dass ein Jude, der den Willen zur vollen Bejahung seiner Umwelt habe, die Fähigkeit besitze, das deutsche Wesen in sich aufzunehmen und das jüdische Wesen abzustreifen. Eine solche Bekehrung zum Deutschtum mit all seinen spirituellen Werten sei grundsätzlich möglich, müsse aber entschiedener eingefordert werden. Alles Gute an den Juden verdankten sie der Anpassung an die deutsche Welt, dem Judentum selbst wohne hingegen keine positive Kraft inne. Als Religion sei es vielmehr ein überlebtes Relikt, das über eine für den Nationalstaat gefährliche Eigenschaft verfüge, nämlich Solidaritätsbindungen über nationale Schranken hinweg zu schaffen und die Bildung eines übernationalen jüdisch-säkularen Netzwerks zu begünstigen. Die gesunde Hauptrichtung der Geschichte sei dagegen im modernen Nationalstaat mit christlicher Tradition verwirklicht. Das Judentum dürfe niemals als gleichberechtigte Konfession akzeptiert werden, da auf dieser Basis keine nationale Einheit möglich sei und letztlich als Alternative nur die Vertreibung der Juden bliebe.

Die Rassenlehre, die damals Antisemiten wie Wilhelm Marr und bald darauf Karl Eugen Dühring zur Grundlage der Nationalidee stilisierten, lehnte Treitschke ab. Zwar sprach auch er von der „Mischcultur“ als „zersetzendem“ Faktor, auf den das gesunde „germanische“ Volksempfinden mit Abwehr reagieren müsse. Allerdings hielt er eine „Blutvermischung“ zwischen Juden und Nichtjuden nicht grundsätzlich für schlecht, sondern betrachtete sie auch als Mittel zur Assimilation, da sie „doch zu allen Zeiten das wirksamste Mittel zur Ausgleichung der Stammesgegensätze war.“[14] Die im Rahmen des Antisemitenstreits von seinen Studenten verbreitete Antisemitenpetition hat er nicht unterschrieben, stand den Aktionen zur Unterschriftensammlung aber wohlwollend gegenüber und distanzierte sich erst auf Drängen seines Kollegen Theodor Mommsen im November 1880 davon. Treitschkes Schriften und Vorlesungen an der Berliner Universität um 1880 in dieser Kontroverse haben erheblich dazu beigetragen, in bürgerlichen und akademisch gebildeten Kreisen die Ansicht zu verbreiten und akzeptabel erscheinen zu lassen, wonach das Judentum der nationalen Einigung Deutschlands grundsätzlich wesensfremd und feindlich gegenüberstehe.

Treitschke wurde von Teilen der liberalen Presse wegen seiner Äußerungen scharf angegriffen. Seine Haltung führte zu vielen Zerwürfnissen mit Kollegen wie Theodor Mommsen, Harry Breßlau und Johann Gustav Droysen und zum Bruch mit jüdischen Freunden wie Levin Goldschmidt; auch sein enger Freund Franz Overbeck kritisierte ihn deswegen. Er selbst grenzte sich zwar stets vom „Radau-Antisemitismus“ ab, hielt diesen aber für die nachvollziehbare Folge des angeblich viel zu großen Einflusses der Juden, denen er damit die Schuld an antijüdischen Ausschreitungen zuwies. Er verstand sich selbst nicht als Antisemit und verwies zur Rechtfertigung auf seine freundschaftlichen Beziehungen mit jüdischen Einzelpersonen (z. B. hielt er die Grabrede für seinen jüdischen Freund und Bundesbruder Alphons Oppenheim). Treitschke bot sogar an, Beiträge für Josef Schrattenholz’ Antisemiten-Hammer zu liefern, eine Publikationsreihe, mit der das erklärte Ziel verfolgt werden sollte, den Antisemitismus zu widerlegen.[15] Treitschkes Auffassungen waren aber radikal nationalistisch, wobei nach seinem Verständnis von Nation die Juden als Fremde ausgegrenzt blieben. Treitschke nahm durch seine Äußerungen „dem Antisemitismus den ‚Kappzaum der Scham‘ (Theodor Mommsen) und machte ihn für breite Bevölkerungskreise akzeptabel, die sich vom ‚Radau- und Pöbelantisemitismus‘ distanzierten“[16]. Er leistete damit „einen bedeutenden Beitrag dazu, den Antisemitismus innerhalb des Bürgertums salonfähig zu machen“[17].

Der Historiker Golo Mann charakterisierte Treitschkes Haltung wie folgt:[18]

„Zugleich mit der Judenemanzipation, der neuen bürgerlichen Angleichung, erscheint der neue Antisemitismus. Aber er ist zunächst nicht das, was wir uns darunter vorstellen; er verlangt nicht Ausschließung, sondern völlige Angleichung und Bescheidenheit in der Angleichung; er verlangt Ausschließung nur derer, die sich nicht angleichen wollen. Ich will Ihnen für diese Ansicht, diese Haltung nur ein merkwürdiges Beispiel geben, das des deutschen Historikers Heinrich von Treitschke. Dieser große Schriftsteller gilt gemeinhin als Antisemit, und das war er auch; dennoch hätten etwa die Nazis mit seinem Antisemitismus durchaus nichts anfangen können. Treitschke war ein leidenschaftlicher, zorniger Patriot, sehr entschieden in seinem Urteil, aber mit einem schönen Sinn für das Gerechte und Wahre; etwas Unwahres, etwas Gemeines wäre nie aus seiner Feder gekommen. Und so sah Treitschke nur eine mögliche Lösung der Judenfrage in Deutschland: völliges Aufgehen des zahlenmäßig so geringen Judentums im Deutschtum, Preisgabe jedes eigenen jüdischen Lebensstiles. Er lobte die preußischen Juden, die in den Befreiungskriegen ehrenhaft ihre soldatische Pflicht getan hatten.“

Eine der Folgen der Auseinandersetzung war der über längere Zeit erfolgreiche Versuch Mommsens, Treitschkes Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften zu verhindern (desgleichen seine Mitwirkung an der Herausgeberschaft der Historischen Zeitschrift), mit der Begründung, er sei mehr ein Publizist als Wissenschaftler. 1895 wurde Treitschke dann aber doch noch aufgenommen, vor allem auf energisches Betreiben seines Unterstützers Sybel.

Treitschke wurde später von den Nationalsozialisten vereinnahmt und seine antisemitische Haltung wurde in der von Alfred Rosenberg initiierten Volksausgabe seiner Werke durch entstellende Kürzungen, Auslassungen und teilweise gänzliche Neuformulierungen[19] seiner Texte verstärkt.

Die Historikerin Shulamit Volkov sieht die nachhaltige Bedeutung des Antisemitismus Treitschkes darin, das er eine antisemitische Einstellung in der bürgerlichen Gesellschaft „salonfähig“ gemacht und ihr Zugang zu den deutschen Universitäten verschafft habe.[20]

Rezeption

Wie zu Lebzeiten wirkte Treitschke auch nach seinem Tod polarisierend. Einerseits erkannten auch Kritiker die Gelehrsamkeit, literarische Lebendigkeit und das rhetorische Geschick seiner Darstellung an, andererseits beschuldigte man ihn als preußischen Hofhistoriker häufig einer voreingenommenen und parteilichen Sichtweise. Vertretern des liberalen Historismus seiner Zeit behagte die allzu flammende und emotionale Parteinahme Treitschkes für oder gegen die Protagonisten seiner Erzählung nicht immer, und einige stellten seine Eignung als der Wahrheit verpflichteter, nüchtern urteilender Historiker im Sinne von Rankes deshalb in Frage. Das vaterländische Pathos und die personenzentrierte und nationalgeschichtliche Engführung seiner Geschichtsschreibung führten je nach ideologischem Standpunkt und Nationalität der Rezipienten zu sehr prononcierten Urteilen, apologetischer Zustimmung oder scharfer Ablehnung. Zu denjenigen, die Treitschkes stets für das Preußentum Partei ergreifende Positionen häufig ablehnten, gehörte ein Großteil der ausländischen Nationalhistoriographie; zudem nahmen süddeutsche oder katholische Geschichtsschreiber oft konträre Positionen ein. Die in seinen Werken explizit zum Ausdruck gebrachten konservativen bzw. aus heutiger Sicht reaktionären Ansichten führten zur praktisch einhelligen Ablehnung der Werke Treitschkes seitens der politischen Linken. Beim deutschen Bildungsbürgertum der Kaiserzeit und der Weimarer Zeit und auch noch der frühen Nachkriegszeit galt sein Name indes als sprichwörtlicher Inbegriff für genaues geschichtliches Faktenwissen. In jüngerer Zeit und insbesondere nach der Erfahrung des Nationalsozialismus dominiert die Ablehnung Treitschkes wegen seiner antisemitischen Stellungnahmen.[21]

Ehrungen, Kontroversen

1909 wurde ihm vor der Berliner Universität neben der Statue von Hermann von Helmholtz ein Denkmal errichtet, dem wenig später auch das von Theodor Mommsen zur Seite gestellt wurde. Während das Mommsen Denkmal noch heute dort steht, wurde das von Treitschke Mitte der 1930er bei der Renovierung in einen Seitenhof versetzt und 1951 abgebaut und eingeschmolzen.[22]

Nach seinem Tod wurden in vielen Städten Straßen nach Treitschke benannt, was in den letzten Jahren zu Kontroversen führte. So wurde in Nürnberg eine in der Zeit des Nationalsozialismus nach ihm benannte Straße in Steuerwald-Landmann-Straße umbenannt. Im November 2011 beschloss der Gemeinderat Heidelberg nach langjährigem Streit eine Umbenennung der dortigen Treitschkestraße.[23] Die Umbenennung in Goldschmidtstraße erfolgte dann am 29. März 2012.[24]

In anderen Städten wie Berlin, München (seit 1960) oder Karlsruhe gibt es nach wie vor Treitschkestraßen.[25] Die Umbenennung der Treitschkestraße in Berlin in Kurt-Scharf-Straße wurde 2003 von der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf nach ausgiebiger Diskussion abgelehnt.[26] In Berlin-Steglitz und Karlsruhe erklären Informationstafeln die Bedeutung Treitschkes.[27] In Berlin-Steglitz wurde zusätzlich eine angrenzende Grünfläche in Harry-Bresslau-Park umbenannt.[28]

Privates

Treitschke war seit 1867 mit Emma von Bodmann verheiratet und hatte drei Kinder. Der Tod seines Sohnes im Januar 1881 an Diphtherie traf ihn und vor allem seine Frau schwer, was Treitschke zusätzlich belastete. Er war fast taub und verständigte sich mit seiner Frau mit Zeichensprache, mit Anderen über Zettel. Er reiste viel in Deutschland und in Europa, am meisten in die Schweiz und Tirol, aber auch nach Italien, Frankreich, Schweden, Spanien und England.

Er war eng seit der gemeinsamen Studienzeit mit Franz Overbeck befreundet und stand mit Gustav Freytag im Briefwechsel. Weitere Freunde waren Emil Herrmann und Hermann von Helmholtz.

Treitschke liegt auf dem evangelischen Alten St. Matthäusfriedhof in Berlin-Schöneberg begraben (verortet). 1952 erhielt es den Status eines Ehrengrabs des Landes Berlin, der Status wurde 2003 aberkannt.

Werke (Auswahl)

Vaterländische Gedichte. Berlin 1856

Studien, Hirzel, Leipzig 1857

Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch. Leipzig 1859

Das deutsche Ordensland Preußen, Preußische Jahrbücher, Band 10, 1862, S. 95–151 (auch in Historische und Politische Aufsätze, Band 2, 1871 in überarbeiteter Form)

Historische und Politische Aufsätze vornehmlich zur neuesten Deutschen Geschichte. 1865

Die Lösung der schleswig-holsteinischen Frage. Eine Erwiderung. Leipzig 1865

Die Zukunft der norddeutschen Mittelstaaten. Berlin 1866

Der Krieg und die Bundesreform. 1866

Was fordern wir von Frankreich ?, Berlin 1870

Cavour, in Historische und Politische Aufsätze, Band 1, 1870

Zehn Jahre deutscher Kämpfe 1865–1874. Schriften zur Tagespolitik., 2 Bände, Berlin 1874

Der Socialismus und seine Gönner. Nebst einem Sendschreiben an Gustav Schmoller., Preußische Jahrbücher, Band 34, 1875, S. 67–110 und 248-301

Der Socialismus und der Meuchelmord. 1878

Unsere Aussichten, Preußische Jahrbücher, Band 44, 1879, S. 559–576, Online (PDF; 1,2 MB) (Antisemitismusstreit)

Herr Graetz und sein Judenthum, Preußische Jahrbücher. Bd. 44, 1879, S. 660–670, Online (PDF; 666 kB)

Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. 1879–1894

Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Hirzel, Leipzig 1879. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv)

Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Hirzel, Leipzig 1882. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).

Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Hirzel, Leipzig 1885. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).

Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Hirzel, Leipzig 1889. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).

Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Hirzel, Leipzig 1894. (Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv).

Noch einige Bemerkungen zur Judenfrage, Preußische Jahrbücher, Bd. 45, 1880, S. 85–95, Online (PDF; 740 kB)

Ein Wort über unser Judenthum, 1880 (vier Auflagen), Sonderabdruck aus: Preußische Jahrbücher. Bd. 44 und 45, 1879 und 1880

Luther und die deutsche Nation. Vortrag. 1884

Rede, gehalten zur Feier der fünfundzwanzigjährigen Regierung Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm I. im großen Hörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität am 4. Januar 1886. 1886

Die Zukunft des deutschen Gymnasiums. 1890

Der Entwurf des Preußischen Volksschulgesetzes. 1892

Gustav Adolf und Deutschlands Freiheit. Vortrag gehalten am 8. Dezember 1894 in der Sing-Akademie zu Berlin, Leipzig, Hirzel 1895

Reden von Heinrich v. Treitschke im Deutschen Reichstage 1871–1884. Leipzig 1896

Deutsche Kämpfe. Neue Folge, Schriften zur Tagespolitik, Leipzig 1896

Politik. Vorlesungen. 1897–1898, 2 Bände, Leipzig 1911, 1913

Bilder aus der deutschen Geschichte, 2 Bände, Hirzel, 3. Auflage 1909

Ausgewählte Schriften, 2 Bände, Leipzig: Hirzel, 4. Auflage, 1908

Historische und Politische Aufsätze, 4 Bände, Leipzig, Hirzel, 8. Auflage 1918


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Text: Wikipedia

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