Attentat auf Walther Rathenau

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Rathenau im Jahr 1891 als Vizewachtmeister im Garde-Kürassier-Regiment
Walther Rathenau

Walther Rathenau (* 29. September 1867 in Berlin; † 24. Juni 1922 in Berlin-Grunewald) war ein deutscher Industrieller, Schriftsteller und liberaler Politiker (DDP). Er wurde als Reichsaußenminister Opfer eines politisch motivierten Attentats der Organisation Consul.

Leben

Walther Rathenau wurde als ältester Sohn des deutsch-jüdischen Industriellen Emil Rathenau (des späteren Gründers der AEG) und seiner Ehefrau Mathilde (geb. Nachmann) in Berlin geboren. Er wuchs dort zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern Erich (1871–1903) und Edith (1883–1952) auf und besuchte das Königliche Wilhelms-Gymnasium. 1886–1889 studierte er in Straßburg und Berlin Physik, Philosophie und Chemie bis zur Promotion (Die Absorption des Lichts in Metallen). 1889/90 studierte er Maschinenbau an der Technischen Universität München.

Rückblickend schrieb er über seine Jugendzeit:

„In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewußt wird, daß er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann.[1]“

Die traumatisch erlebte Kluft zwischen Zugehörigkeit zur Elite und gleichzeitiger Diskriminierung begleitete ihn und bestimmte sein Handeln und Denken sein Leben lang.[2]

„Sein Leben kann [...] auch so gesehen werden, dass es die Quintessenz der deutsch-jüdischen Geschichte enthält, nämlich den Versuch, die jüdische und die deutsche Identität miteinander in Einklang zu bringen, ohne sich je in der einen oder in der anderen zu Hause zu fühlen.“

Industrieller

Nach gescheiterten Versuchen, dem Berufsbereich des Vaters durch die Hinwendung zur Kunst oder einer Offiziers- und Diplomatenkarriere zu entgehen, fügte er sich und übernahm 1893–1898 den Aufbau der von der AEG gegründeten Elektrochemischen Werke in Bitterfeld und Rheinfelden. Seit 1899 war Rathenau in leitenden Positionen für die AEG tätig, zunächst im Vorstand, 1902–1907 als Geschäftsinhaber in der nahestehenden Berliner Handels-Gesellschaft (BHG), seit 1904 vom Aufsichtsrat der AEG aus, dessen Vorsitzender er 1912 wurde. Zugleich vereinigte er seit 1904 nach und nach mehr als 80 Aufsichtsratsposten auf sich. Seine führende Stellung in der deutschen Wirtschaft wurde auch durch seine Aufnahme in die Gesellschaft der Freunde deutlich. In der kritischen Rezessionszeit der deutschen Elektroindustrie setzte er sich erfolgreich für Konkurrenzverminderung durch Syndikate und Fusionen ein. Die erfolgreich von ihm betriebene Kartellpolitik ließen ihn ab 1914 als den geeigneten Mann für die Organisation der deutschen Kriegsrohstoffversorgung erscheinen. Er wurde engster Berater seines Vaters, aber dessen Nachfolger wurde 1915 Felix Deutsch, während Rathenau Sondervollmachten und den Titel „Präsident der AEG“ erhielt.

Da die AEG stark an der deutschen Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg beteiligt war, war Rathenau als ihr Aufsichtsratsvorsitzender auch in die Kriegsplanungen der Reichsregierung eingebunden. Am 16. September 1916 nahm er an einer Konferenz im preußischen Kriegsministerium teil, auf der Carl Duisberg und andere führende Industrielle angesichts des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland forderten. Rathenau unterstützte ihre Forderung in einem Brief an den OHL-General Erich Ludendorff, in dem er sich für scharfe Maßnahmen gegen die belgische Zivilbevölkerung aussprach. Die Deportationen wurden dann tatsächlich durchgeführt. Der Publizist Maximilian Harden, der sich mit seinem langjährigen Freund Walther Rathenau bereits 1913 zerstritten hatte, griff diesen später aufgrund seiner Verwicklung in die Deportationen scharf an. In Belgien wurde sogar überlegt, Rathenaus Auslieferung zu verlangen.[4]

Schriftsteller

Die ausgedehnte berufliche Arbeit bildete nur einen Teil seiner Aktivitäten. Während er praktisch zur Fortführung des väterlichen Großunternehmens beitrug, wollte er theoretisch als Schriftsteller die moderne Welt des Kapitalismus und Materialismus kulturkritisch durchdringen und verbessern. Hier förderte ihn Maximilian Harden, in dessen Wochenzeitschrift Die Zukunft seine ersten Aufsätze erschienen, als erster 1897 „Höre, Israel!“, eine Polemik gegen das moderne Judentum. Politisch und ästhetisch gehörte Rathenau zur Opposition gegen den herrschenden Wilhelminismus. Durch die Freundschaft mit Gerhart Hauptmann kam er in den Autorenkreis des S. Fischer Verlags und veröffentlichte hier 1912 und 1913 seine Bücher „Zur Kritik der Zeit“ und „Zur Mechanik des Geistes“, in denen er die moderne „Mechanisierung der Welt“ beklagte und seine neuidealistische Weltanschauung vom „Reich der Seele“ darlegte. Politisch setzte er sich für eine stärkere Beteiligung des liberalen, industriell tätigen Bürgertums an der Außenpolitik ein und suchte selbst durch Mitwirkung in der Kolonialpolitik Einfluss zu gewinnen. Neben anderen Kontakten in die völkische Szene war Rathenau von 1913 bis zu seinem Tod mit dem rechtskonservativen Publizisten Wilhelm Schwaner befreundet, in dessen Zeitschrift Der Volkserzieher in dieser Zeit einige Aufsätze Rathenaus abgedruckt wurden, was zu erheblichem Unmut in nationalistischen Kreisen führte.

Politiker

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs machte Rathenau als Erster auf die unzureichende wirtschaftliche Vorbereitung des Reiches aufmerksam und empfahl die rasche Errichtung eines „Rohmaterialamtes“ zur zentralen Bewirtschaftung kriegswichtiger Rohstoffe. Kriegsminister Erich von Falkenhayn richtete daraufhin im preußischen Kriegsministerium die Kriegsrohstoffabteilung ein, um die Verteilung der kriegswichtigen Rohstoffe zu organisieren und hierbei eine staatliche Beaufsichtigung der deutschen Industrie durch Kriegswirtschaftsgesellschaften einzuführen. Die Leitung übernahm der Initiator Rathenau von August 1914 bis März 1915.[5] Wahrscheinlich verhinderte er damit eine schwere Materialkrise in Deutschland, sah selbst darin aber auch Ansätze für neue gemeinwirtschaftliche Formen. Es gelang ihm, die durch die britische Blockade sofort spürbaren Defizite bei kriegswichtigen Rohstoffen zumindest einzudämmen.[6]

Über diese Zukunftsziele äußerte er sich 1917 in seinem wirkungsvollsten Buch „Von kommenden Dingen“. Wirtschaftliche Rationalisierung und Verfassungsreformen hielt er für wichtig, aber noch notwendiger erschien ihm eine Bewusstseinsveränderung. Ein zweiter Interessenpunkt Rathenaus an der Leitung der Kriegsrohstoffabteilung war die vergebliche Hoffnung einer weiterführenden Berufung zum Staatssekretär im Reichsschatzamt. Auch aus Enttäuschung zog er sich daher nach acht Monaten wieder aus der Kriegsrohstoffabteilung zurück und konzentrierte sich bis zum Ende des Krieges auf die Organisation der Rüstungsfabrikation der AEG und Planungen zur Rückumstellung auf die Friedensproduktion.[7] Hatte Rathenau dem Krieg 1914 noch kritisch gegenübergestanden,[8] wandelte er sich während seiner Arbeit für das Kriegsministerium immer mehr zum „Falken“. So sprach er sich für die Bombardierung Londons mit Zeppelinen und die Deportation belgischer Zivilisten zur Zwangsarbeit nach Deutschland aus.[9]

Rathenau, der die Methoden des Wiener Kongresses für überlebt hielt, weil „Länderteilungen hinfällig geworden“ seien, wollte eine mitteleuropäische Zollunion, die Deutschlands Sieg und Dominanz in Europa bedeuten würde.[10] Die Leitung des mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes war einer zwischenstaatlichen Organisation zugedacht, „in der Deutschland eine stärkere Stellung beanspruchen könnte, als Preußen sie im Bundesrat einnimmt“. Er propagierte die Idee der Wiederbelebung des Frankenreiches, die von der Bevölkerung angeblich besser begriffen würde, als ein Programm weitreichender direkter Annexionen.[11] Über den Frieden von Brest-Litowsk urteilte er hingegen, Deutschland würde durch diesen Frieden „in einem Abgrund von Feindschaft und Konflikten leben“.[12]

1918 kritisierte er sogar den Waffenstillstand und plädierte für die Fortführung des Krieges, um die späteren Verhandlungen aus einer besseren Position heraus führen zu können.[8] Trotz seiner harten Haltung im Krieg wurde er später zur Zielscheibe von antisemitisch motivierten Angriffen durch die Anhänger der Dolchstoßlegende.

Wegen seiner widerspruchsvollen politischen Haltung von allen Seiten angefeindet, hatte Rathenau nach dem Krieg zunächst Mühe, für eine neue Politik tätig zu werden. Als Wirtschaftssachverständiger und Mitglied und Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) arbeitete er 1920 in der Sozialisierungskommission und nahm an der Konferenz in Spa teil. Wegen seines entspannungsfördernden Verhandlungsgeschicks und seines internationalen Ansehens wurde er im Mai 1921 Wiederaufbauminister im Kabinett des Reichskanzlers Joseph Wirth und schloss im Oktober mit Frankreich das Wiesbadener Abkommen über privatwirtschaftliche deutsche Sachlieferungen an französische Kriegsgeschädigte. Ende Oktober trat Rathenau zurück, war aber in London und der Konferenz von Cannes weiterhin für die Regierung tätig. Am 31. Januar 1922 wurde er zum Außenminister im Kabinett Wirth II ernannt, um Deutschland bei der Weltwirtschaftskonferenz von Genua zu vertreten. Hier gelangen ihm keine Fortschritte in der Reparationsfrage, aber er fand sich unter Bedenken bereit, am 16. April 1922 mit Sowjetrussland in Rapallo einen bilateralen Sondervertrag abzuschließen, um Deutschland außenpolitisch mehr Handlungsfreiheit zu verschaffen. Obwohl dieser Schritt gerade von nationaler Seite begrüßt wurde, hielt er die rechtsradikale Organisation Consul (O.C.) nicht davon ab, später ein Attentat gegen den erfolgreichen Außenpolitiker durchzuführen.

Ermordung

Am Morgen des 24. Juni 1922, einem Samstag, wollte Rathenau ins Auswärtige Amt in der Wilhelmstraße, um einer Prüfung von Konsularsanwärtern beizuwohnen. Am Abend zuvor hatte er noch bis in die frühen Morgenstunden bei einem Essen mit dem amerikanischen Botschafter Alanson Houghton und Hugo Stinnes den deutschen Standpunkt in der Reparationsfrage erläutert und eine Abkehr von seiner bisherigen Erfüllungspolitik erkennen lassen. Wohl auch deshalb hatte er sich verspätet und war erst um 10:45 Uhr in den Fond seines offenen NAG-Kabrioletts gestiegen. Obwohl es im Vorfeld immer wieder konkrete Attentatswarnungen gegeben hatte, fuhr Rathenau ohne Polizeischutz. Auf dem Weg von seiner Villa in der Koenigsallee 65 in Berlin-Grunewald bemerkten weder er noch sein Chauffeur, dass sie von einem Wagen verfolgt wurden. Kurz vor der Kreuzung Erdener-/Wallotstraße, als Rathenaus Chauffeur angesichts der folgenden S-Kurve abbremsen musste, überholte der verfolgende Wagen, ein offener Mercedes-Tourenwagen, an dessen Steuer der 20-jährige Maschinenbaustudent Ernst Werner Techow saß. Im Fond saßen der 23-jährige Student der Rechtswissenschaften Erwin Kern und der 26-jährige Maschinenbauingenieur Hermann Fischer. Während Kern mit einer Maschinenpistole MP18 auf Rathenau feuerte, warf Fischer eine Handgranate in den Wagen. Der von fünf Schüssen tödlich getroffene Rathenau starb binnen kürzester Zeit. Den Attentätern gelang die Flucht durch die Wallotstraße und anschließend die Herbertstraße.

Die Polizei stellte schnell einen Zusammenhang mit vorangegangenen Attentaten auf Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann her, und noch am Tag der Ermordung ordnete der Kasseler Oberstaatsanwalt die Festnahme von Funktionären der rechtsextremen Organisation Consul (O.C.), darunter Karl Tillessen, Hartmut Plaas und Friedrich Wilhelm Heinz, an. In der Tat waren auch die Attentäter allesamt Mitglieder der O.C., einer geheimen Nachfolgeorganisation der Marine-Brigade Ehrhardt. Am 26. Juni wurde der Student Willi Günther verhaftet, der an der Vorbereitung der Tat beteiligt gewesen war und sich öffentlich der Mittäterschaft gerühmt hatte. Nach Günthers rückhaltlosem Geständnis wurden weitere Tatbeteiligte verhaftet, darunter Hans Gerd Techow, ein Bruder des Fahrers. Ernst Werner Techow selbst wurde nach einem Fahndungsaufruf am 29. Juni verhaftet. Nach Fischer und Kern begann eine fieberhafte Suche. Sie wurden nach Zeugenhinweisen schließlich am Morgen des 17. Juli auf der Burg Saaleck, wo sie beim Burgbesitzer, dem O.C.-Mitglied Hans Wilhelm Stein, Unterschlupf gefunden hatten, von zwei Kriminalbeamten gestellt. Während der Konfrontation gab einer der Beamten fünf ungezielte Schüsse auf ein Turmfenster ab, von denen einer Kern tödlich am Kopf traf. Fischer erschoss sich daraufhin selbst.[13]

Verfahren gegen die Täter

Vom 3. bis zum 14. Oktober 1922 wurde vor dem neugebildeten Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik gegen dreizehn Personen verhandelt. Neben drei Berufsrichtern mit Senatspräsident Alfred Hagens als Vorsitzendem wurden nach den Bestimmungen des Gesetzes zum Schutze der Republik sechs Laienrichter bestellt, darunter Hermann Müller für die SPD, Hermann Jäckel für die USPD und Gustav Hartmann für die DDP. Durch diese Besetzung sollte eine Rechtsprechung im republikanischen Geist gewährleistet werden. Oberreichsanwalt Ludwig Ebermayer klagte unter anderem Ernst Werner Techow des Mordes, Hans Werner Techow und Ernst von Salomon, der bei den Attentatsvorbereitungen als Verbindungsmann fungiert und Fahrtstrecke und Wohnhaus Rathenaus ausgespäht hatte, der Beihilfe zum Mord sowie Karl Tillessen und Hartmut Plaas der Nichtanzeige eines geplanten Verbrechens an. Die Anklageschrift klammerte dabei den gesamten Komplex O.C. vollständig aus und beschränkte sich auf die Rekonstruktion der Tat. Auch die Angeklagten bemühten sich während der Verhandlung, jeden Bezug zur O.C. zu vermeiden.

Das Verfahren endete mit zehn Verurteilungen und vergleichsweise drastischen Strafen. Am meisten Aufsehen erregte freilich, dass Ernst Werner Techow der Todesstrafe entging und wegen Beihilfe zum Mord zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Dennoch erhielten Ernst von Salomon mit fünf Jahren Zuchthaus, sowie Tillesen und Plaas mit drei bzw. zwei Jahren Gefängnis Strafen, die sich gemessen am jeweils angeklagten Vergehen im oberen Strafrahmen bewegten. Das tatsächliche Maß der jeweiligen Tatbeteiligung wurde dabei indes nicht aufgedeckt. Ebermayer hatte in seinem Schlussplädoyer zwar selbst vermutet, dass insbesondere Tillessen einer der Hauptorganisatoren des Anschlags gewesen sein müsse, konnte es jedoch nicht beweisen. Das Gericht ließ in seiner Urteilsbegründung offen, ob hinter dem Mordanschlag ein organisiertes Komplott gesteckt hatte.[14] Vielmehr führte es das Verbrechen auf die Wirkung antisemitischer Hetzparolen zurück, um den Mord als isolierte Tat junger unreifer Fanatiker darzustellen. Zweifellos waren viele Offiziere der Brigade Ehrhardt „von tiefem Hass auf den Juden und Erfüllungsgehilfen Rathenau erfüllt“. Kern, Fischer und Techow waren überdies Mitglieder des Deutsch-Völkischen Schutz- und Trutzbundes. Dennoch wehrten sich Salomon und die Brüder Techow gegen die Zuschreibung judenfeindlicher Tatmotive.[15]

Ein zweiter Rathenaumordprozess wurde im Juni 1925 gegen zwei Tatbeteiligte geführt, die man erst später hatte fassen können. Der eine, Johannes Küchenmeister, hatte seinen Wagen für die Tat zur Verfügung gestellt, der andere, Georg Brandt, den Wagen von Dresden nach Berlin überführt und Fischer und Kern übergeben. Auch in diesem Verfahren wurden die Hintergründe nicht aufgeklärt. Vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freigesprochen, erhielt nur Brandt vier Jahre Gefängnis für die Nichtanzeige eines Verbrechens.[16]

Motive der Verschwörer

Der Historiker Martin Sabrow kommt bei seiner Rekonstruktion zu dem Schluss, dass hinter der Ermordung Walther Rathenaus tatsächlich ein Komplott der Organisation Consul steckte. Für ihn steht außer Zweifel, dass Hermann Ehrhardt als Chef des Geheimbundes die Ermordung Rathenaus persönlich anordnete, wenngleich die Münchner Zentrale alles daran setzte, dass ihre Verbindung zu den Attentätern keinesfalls ruchbar wurde. Rathenaus Ermordung sei Teil einer terroristischen Eskalationsstrategie gewesen, um einen Bürgerkrieg zu entfesseln. Der Tod Rathenaus, der nach Ansicht der Attentäter „alle Fäden in der Hand“ hatte, würde, so ihre Erwartung, den Sturz der gesamten Regierung nach sich ziehen und die Linksradikalen zu Aktionen veranlassen. Ehrhardt, der in Bayern ausgezeichnete Beziehungen zur rechtsgerichteten Regierung und den Behörden unterhielt, hoffte, in diesem Fall mit seinen Leuten als Ordnungsmacht zur Hilfe gerufen zu werden und eine von ihm abhängige Regierung oder Militärdiktatur errichten zu können. Offenbar waren zu diesem Zweck auch noch weitere Anschläge auf führende Politiker der Weimarer Republik geplant.[17]

Nach 1945 wurde das Schlagwort von Rathenau als dem „Ersten Opfer des ‚Dritten Reiches‘“ populär. Dies bezieht sich einerseits auf die Vielzahl antisemitischer Anfeindungen, die Rathenau zeit seines Lebens über sich ergehen lassen musste. In völkischen und nationalistischen Kreisen galt Rathenau spätestens nach seiner Ernennung zum Außenminister als „Kandidat des Auslandes“ und Befehlsempfänger der Weisen von Zion. Der DNVP-Abgeordnete Wilhelm Henning hatte in der Konservativen Monatsschrift anlässlich des Vertragsschlusses von Rapallo geschrieben: „Kaum hat der internationale Jude Rathenau die deutsche Ehre in seinen Fingern, so ist davon nicht mehr die Rede. […] Sie aber, Herr Rathenau, und Ihre Hinterleute, werden vom deutschen Volk zur Rechenschaft gezogen werden“.[18] Bekannt ist auch das vor allem in den Freikorps verbreitete Hetzlied:

„Auch Rathenau, der Walther, Erreicht kein hohes Alter, Knallt ab den Walther Rathenau, Die gottverdammte Judensau!“

– [19]

Auf der anderen Seite arbeitete Adolf Hitler beim Aufbau seiner Bewegung bereits früh mit Ehrhardts Organisation zusammen. Die Nationalsozialisten solidarisierten sich noch während der Weimarer Republik mit den Attentätern und veranstalteten am 17. Juli 1933 eine Feier am Grab Kerns und Fischers in Saaleck. In Anwesenheit Ehrhardts, Heinrich Himmlers und Ernst Röhms wurde eine Gedenkplatte am Burgturm angebracht und durch Mitglieder der thüringischen Staatsregierung Kränze niedergelegt. Im Oktober 1933 wurde auch noch ein neues Grabmal auf Kosten des Reiches eingeweiht. Allerdings weist Martin Sabrow darauf hin, dass die Mörder Rathenaus keine faschistische Nationalrevolution, sondern eine monarchistische Gegenrevolution auslösen wollten und Rathenau daher ebenso sehr ein erstes Opfer des Dritten, wie ein letztes Opfer des Zweiten Reiches, des Deutschen Kaiserreiches, gewesen sei.[20]

Folgen des Mordes und Nachleben

Die politischen Reaktionen auf das Attentat waren enorm. Als die Todesnachricht im Reichstag bekannt wurde, kam es zu Tumulten. Vor allem der deutschnationale Abgeordnete Karl Helfferich, der tags zuvor noch Rathenaus Erfüllungspolitik scharf angegriffen hatte, wurde mit „Mörder, Mörder“-Rufen bedrängt. Millionen Deutsche demonstrierten in Protestkundgebungen und Trauerzügen gegen den konterrevolutionären Terror, aber der Bürgerkrieg, auf den die Terroristen gesetzt hatten, blieb aus.[21] Reichskanzler Joseph Wirth vom Zentrum, ein persönlicher Freund Rathenaus, hielt in der einen Tag nach dem Attentat anberaumten Sondersitzung des Reichstages eine Aufsehen erregende Rede, in der er ausrief:

„Da steht (nach rechts) der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts! (Stürmischer langanhaltender Beifall und Händeklatschen in der Mitte und links und auf sämtlichen Tribünen. – Große langandauernde Bewegung.)“

Wirth zitierte damit eine Formel der Sozialdemokraten, Der Feind steht rechts, die Philipp Scheidemann in einer Rede vor der Weimarer Nationalversammlung am 7. Oktober 1919 geprägt und nach dem Attentat auf sein Leben wiederholt hatte, und die auch Otto Wels verwendet hatte, als er am 30. März 1920 im Reichstag zum Kapp-Putsch sprach.[23] Wirth wurde wegen seiner Kritik am rechten politischen Lager in der eigenen Partei, die sich als Partei der politischen Mitte verstand, scharf kritisiert.[24] Historiker wie Hagen Schulze und Hans Mommsen zollen der Rede Respekt, halten sie aber für politisch unklug, weil die pauschale Kritik gemäßigte Kreise und damit mögliche Koalitionspartner wie die DVP vor den Kopf gestoßen habe.[25] Wirth selbst verteidigte sich, er habe ganz konkret auf im Reichstag sitzende Politiker vor allem der DNVP gewiesen, welche die Mordatmosphäre geschürt hätten.[26]

Reichspräsident Friedrich Ebert erließ noch am Tage der Ermordung Rathenaus eine Notverordnung zum Schutze der Republik,[27] der am 21. Juli 1922 das zuvor vom Reichstag verabschiedete Republikschutzgesetz folgte.[28] Zugleich wurde das „Gesetz über Straffreiheit für politische Straftaten“ erlassen, die sogenannte „Rathenau-Amnestie“. War das Republikschutzgesetz vor allem als Schutzmaßnahme gegen den Rechtsextremismus intendiert, die alsbald zum – mit Ausnahme Bayerns – reichsweiten Verbot der NSDAP führte, sollte die Amnestie die harten Strafurteile korrigieren, die nach dem Mitteldeutschen Aufstand gegen die kommunistischen Aufrührer gefällt worden waren.[29]

Die Reaktionen auf die Ermordung Rathenaus stärkten letztendlich die Weimarer Republik. Während ihres Bestehens blieb der 24. Juni ein Tag des öffentlichen Gedenkens, wobei Rathenau zunehmend von der Arbeiterbewegung geehrt wurde. Das Deutschlandlied wurde zur Nationalhymne erhoben und der 11. August zum Verfassungstag erklärt. Rathenaus Tod erschien in der öffentlichen Erinnerung zunehmend als ein bewusst erlittenes Opfer für die Demokratie.[30]

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Andenken an Rathenau demonstrativ getilgt. Die Gedenktafel am Ort seiner Ermordung wurde entfernt.

An die Ermordung Rathenaus erinnert heute u. a. ein 1946 von der linksliberalen Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands gesetzter Gedenkstein in der Koenigsallee in Berlin-Grunewald.

Bestattet wurde Walther Rathenau im Familiengrab auf dem in der Wuhlheide gelegenen landeseigenen Waldfriedhof des Berliner Ortsteils Oberschöneweide. Die Grabstätte wurde von seinem Vater, dem AEG-Gründer Emil Rathenau, dort angelegt, wo er auch selbst begraben liegt. Das Grab von Walther Rathenau ist als Ehrengrab gekennzeichnet und mit einer Gedenktafel versehen. Die Familien-Grabanlage befindet sich im Feld I/1.[31]

Planwirtschaft

Rathenau entwarf im Zuge des Ersten Weltkrieges das ökonomische Modell der zentral gelenkten modernen Planwirtschaft. Seiner Auffassung nach hatte die freie Marktwirtschaft unter den Bedingungen des Krieges versagt, riesige Profite standen dem sozialen Elend gegenüber. Zudem drohte Deutschland unter fortwährenden Streiks und Klassenkämpfen zu kollabieren. Er verfügte als Präsident der AEG über die nötige konzerninterne Macht, ferner reichte Rathenaus Einfluss weit über dessen Konzern hinaus, so dass er die Idee der Einrichtung der sogenannten Kriegsrohstoffabteilung forcieren konnte, welche die Front und das Hinterland auf der Basis eines ausgefeilten Plans mit allem Notwendigen versorgen sollte.

Der russische kommunistische Politiker und Revolutionär Lenin nahm sich Rathenaus Modell der Planwirtschaft zum Vorbild, insbesondere, als er nach der streng zentralistischen Phase des sogenannten Kriegskommunismus Konzessionen an marktwirtschaftliche Elemente machte. Vorbild war Rathenau auch für Hitlers Rüstungsminister Albert Speer, der Rathenaus System in essenziellen Punkten kopierte: Privatinteressen von Rüstungsunternehmen zwang Speer hinter das politisch-militärische Gesamtinteresse des NS-Staates zurück.

Die Grundannahme in der Theorie des von Rathenau aufgestellten planwirtschaftlichen Modells besagt, dass der Markt und die zentrale staatliche Planung sich nicht unbedingt ausschließen müssen. Planwirtschaft lasse sich, daran glaubte nicht nur Rathenau, als notwendige Ergänzung zum Marktmechanismus begreifen. Sie könne dabei helfen, sowohl soziale Schieflagen zu vermeiden, als auch der Rohstoff- und Ressourcenverschwendung entgegenzutreten. Und sie sei ein Mittel gegen überzogene Profite.[32]


Adresse der Wohnung: Koenigsallee 65, Berlin-Grunewald

Text: Wikipedia

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