Attentat auf Kaiser Wilhelm I.

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Ausschnitt aus einem Bilderbogen der Zeit

Hödels Attentatsversuch auf Kaiser Wilhelm I.

Sonnabend, den 12. Mai 1878, lachte ein wundervolles Frühlingswetter über Berlin. Kaiser Wilhelm I. fuhr mit seiner Tochter, der Großherzogin von Baden, nach dem Berliner Tiergarten und begab sich, wie gewöhnlich, nach dem „Großen Stern“.

Dort hatte sich bereits vorher ein schlecht gekleideter, junger Mann postiert; er war einem Leiermanns-Ehepaar verdächtig vorgekommen. Dieses hatte deshalb den jungen Mann gefragt, weshalb er dem Kaiser so sehr nachschaue. Da zog der junge Mann einen Revolver hervor und sagte: „Heute muß noch ein Dickkopp platzen.“ Der Leiermann und seine Frau machten einen in der Nähe postierten Schutzmann auf den jungen Mann aufmerksam, letzterer war aber sehr bald spurlos verschwunden.

Gegen 3¼ Uhr nachmittags fuhr der Kaiser mit [24] der Großherzogin durch das Brandenburger Tor nach dem kaiserlichen Palais.

Als der Wagen am russischen Botschaftspalais Unter den Linden 7 vorüberfuhr, krachte plötzlich hinter dem kaiserlichen Wagen ein Schuß. Dasselbe Individuum, das dem Leiermann und seiner Frau schon im Tiergarten aufgefallen war, hatte sich gegenüber dem russischen Botschaftspalais aufgestellt. Als der Kaiser mit seiner Tochter vorüberfuhr, schoß der junge Mann mit einem Revolver auf den Wagen. Der Schuß ging fehl, er verletzte niemanden.

Der Attentäter war der 21jährige Klempnergeselle Max Hödel aus Zeitz, der erst kurze Zeit in Berlin war. Er machte den Versuch, zu entfliehen. Der Schuß hatte aber begreiflicherweise eine große Menschenmenge herbeigelockt. Der verwegene Bursche wurde von der Menge ergriffen und einem Schutzmann übergeben.

Der kaiserliche Wagen hatte nur kurze Zeit gehalten. Nachdem festgestellt war, daß auch der Wagen vollständig unbeschädigt geblieben, fuhr der Kaiser mit der Frau Großherzogin, unter unaufhörlichem Jubel und Hurrarufen der immer mehr anschwellenden Menge nach seinem Palais. Vor diesem hatte eine vieltausendköpfige Menschenmenge Posto gefaßt, die „Heil dir im Siegerkranz“ sang und immer von neuem in Hurrarufe ausbrach. Der Kaiser erschien mehrere Male mit seiner Tochter, der Frau Großherzogin, am historischen Eckfenster, um den ihm zujubelnden Berlinern durch freundliches Verneigen zu danken.

[25] Hödel, der wegen Mangel an Arbeit mit allerlei Dingen handelte, hatte sich am Tage vorher den Revolver bei dem Waffenhändler Hippolit Mehles in der Friedrichstraße für sechs Mark gekauft. Laut Gutachten von Sachverständigen konnte er mit diesem Revolver nicht treffen. Hödel bestritt auch, daß er den Kaiser erschießen wollte, er habe in Gegenwart des Kaisers sich selbst erschießen wollen.

Am 10. Juli 1878 hatte sich Hödel vor dem Preußischen Staats-Gerichtshof, der damals für Hoch- und Landesverrat in Preußen allein zuständig war, wegen Hochverrats zu verantworten. Er beteuerte hier nochmals, daß er nicht die Absicht gehabt habe, den Kaiser zu erschießen. Er wurde trotzdem zum Tode verurteilt. Als der Vorsitzende, Kammergerichts-Vizepräsident Dr. v. Mühler, das Todesurteil verkündete, fing der Angeklagte Fliegen. Er war, nebenbei gesagt, ein Mensch von krankhafter Eitelkeit. Er erkundigte sich vor der Verhandlung, ob auch die Berichterstatter gute Plätze haben werden, so daß sie genau und ausführlich berichten können. Während der Verhandlung drehte sich Hödel mehrfach lächelnd zu den Berichterstattern um.

Am Morgen des 16. August 1878 wurde Hödel auf dem Hofe des Berliner Zuchthauses, Lehrter Straße, von dem Scharfrichter Krauts hingerichtet.

Im Anschluß hieran sei eine interessante journalistische Episode mitgeteilt. Im Jahre 1878 existierte [26] in Berlin ein Berichterstatter, der hauptsächlich über Vorkommnisse in den Straßen Berlins schrieb. Er beschäftigte einen 17jährigen Laufburschen. Dieser mußte nicht nur täglich mehrfach die Berichte zu den Berliner Redaktionen tragen, er hatte auch die Aufgabe, dem Berichterstatter von ihm beobachtete Vorkommnisse zu erzählen; er erhielt dafür je nach der Güte des Vorkommnisses eine Gratifikation. Am Nachmittag des 12. Mai 1878 hatte der junge Mann wiederum einen Rundgang zu den Berliner Zeitungsredaktionen zu machen. Gegen 3½ Uhr nachmittags kam er nach Hause. Der Berichterstatter wohnte am Neuen Markt. Die Frage, ob etwas passiert sei, verneinte der Laufbursche. Etwa 20 Minuten später erfuhr der Reporter durch Extrablätter von dem Attentat auf den Kaiser. Er fragte den jungen Mann, ob er denn nicht gegen 3¼ Uhr nachmittags Unter den Linden gewesen sei und von dem Attentat etwas gehört habe. „Gewiß,“ versetzte der junge Mann mit voller Seelenruhe, „ich habe gesehen, wie ein junger Mann Unter den Linden auf den Kaiser geschossen hat. Ich habe den flüchtenden Attentäter sogar mit festgehalten und ihn einem Schutzmann übergeben.“ „Und du hast mir auf meine Frage geantwortet, es ist nichts passiert?“ „Das war doch auch nichts,“ versetzte der Laufbursche mit größter Seelenruhe. –

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Weiteres Attentat

Ein weiterer Attentäter feuerte drei Wochen später am Sonntag, dem 2. Juni, an fast der gleichen Stelle, noch bevor sich die Aufregung über das zweite Attentat gelegt hatte, aus einem Fenster des Hauses Unter den Linden Nr. 18, zwei Flintenschüsse gegen Wilhelm ab, als dieser allein in den Tiergarten fuhr. Der Kaiser wurde von dreißig Schrotkörnern an Kopf und Armen getroffen und schwer verwundet. Er überlebte nur durch die sein Haupt schützende Pickelhaube. Der Täter, Karl Eduard Nobiling, ein junger promovierter Landwirt, wurde gefasst, nachdem er Selbstmord versucht und sich dabei schwer verletzt hatte.[10]

Die Verletzungen Wilhelms waren so schwer, dass er am 4. Juni den Kronprinzen Friedrich Wilhelm zum Stellvertreter ernannte. Die Empörung über die beiden Attentate nutzte Bismarck, um im Reichstag das Sozialistengesetz durchzubringen, indem er wider besseres Wissen verbreiten ließ, Nobiling sei Sozialdemokrat gewesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Nobiling geistesgestört war, wurde von vielen als hoch eingeschätzt. Nach seinen eigenen Angaben war ihm nur darum zu tun gewesen, bekannt zu werden.

Wilhelm I. erholte sich nur langsam und kehrte nach längerem Aufenthalt in Baden und Wiesbaden am 5. Dezember nach Berlin zurück, wo er die Regierung wieder übernahm. Im Juli wurde aus Anlass seiner „glücklichen Errettung“ im ganzen Reich die Kaiser-Wilhelms-Spende aus den Gaben von knapp 12 Millionen Spendern gesammelt. Der Ertrag von über 1,7 Millionen Mark bildete das Stammkapital einer freiwilligen Altersrenten- und Kapitalversicherung für „gering bemittelte Klassen“.

Der Schock des Attentats stärkte wider Erwarten die schwächelnde Gesundheit des Kaisers. Wilhelm benannte Nobiling später seinen besten Arzt.


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