Schloss Compiègne

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Das Schloss Compiègne (französisch Château de Compiègne oder auch Palais de Compiègne) ist eine klassizistische Schlossanlage in der französischen Stadt Compiègne im Département Oise in Nordfrankreich. Die weitläufige Anlage war nach Versailles und Fontainebleau die wichtigste Herrscherresidenz Frankreichs,[1] in der sich die französischen Könige traditionell einige Tage auf dem Weg von und zu ihrer Krönung in Reims aufhielten. Der Schlosskomplex wurde am 24. Oktober 1994 als Monument historique unter Denkmalschutz gestellt.[2]

Vom 6. bis 11. Jahrhundert waren die Vorgängerbauten der heutigen Anlage die bevorzugte Residenz der merowingischen und karolingischen Könige.[3] Ein Neubau König Karls V. wurde bis Mitte des 18. Jahrhunderts durch das französische Königshaus in kleinen Schritten immer wieder erweitert und umgebaut, ehe Ludwig XV. eine umfassende Veränderung und Vergrößerung der Anlage in Auftrag gab. Schloss Compiègne war damit das einzige bedeutende königliche Bauwerk in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.[4] An ihm wurde über 40 Jahre lang gearbeitet. Mit der baulichen Entwicklung ging auch eine Namensänderung einher: Im 17. Jahrhundert noch Louvre genannt, änderte sich die Bezeichnung im 18. Jahrhundert allmählich zu Château (deutsch Schloss) und im Zweiten Kaiserreich zu Palais (deutsch Palast). Zu jener Zeit erlebte die Anlage unter Napoleon III. und seiner Frau Eugénie eine erneute Blüte, als die beiden dort während der sogenannten séries, einer Folge mehrerer einwöchiger Aufenthalte mit kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen, glanzvoll Hof hielten. Das Paar nutzte Compiègne als Herbstresidenz, in der das Hofzeremoniell nicht so steif wie im Tuilerienpalast oder in Saint Cloud war. Kaiserin Eugénies Herz hing derart stark an diesem Schloss, dass sie später im englischen Exil einen Teil ihrer dortigen Residenz Farnborough Hill in Compiègne umtaufte.[5]

Die historischen Appartements der Schlossanlage können heute entgeltlich besichtigt werden, darunter das Prinzliche Doppelappartement und das Appartement des Königs von Rom sowie die Appartements des Kaisers und der Kaiserin. Sie sind die am besten erhaltenen Empire-Ensembles (sowohl Erstes als auch Zweites Empire) in ganz Frankreich.[6] Daneben beherbergt die Anlage drei verschiedene Museen. Der 20 Hektar[7] große Schlosspark ist täglich für Besucher geöffnet. Dort ist der Eintritt frei.

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Geschichte

Die Anfänge und Vorgängerbauten

Compiègne fand in den von Gregor von Tours im 6. Jahrhundert verfassten Zehn Bücher Geschichten (Decem libri historiarum) als compendium villam erstmals Erwähnung.[8] Eine erste Residenz der westfränkischen Könige in Compiègne ist durch zahlreiche Urkunden bekannt. Sie stammte vielleicht schon aus der Zeit Chlodwigs I. und war vermutlich aus Holz erbaut.[9] Chlothar I. starb 561 in dieser villa regia in Compiègne.[10] Im Laufe des 7. Jahrhunderts gewann die mehrheitlich als Jagdhaus genutzte villa immer mehr an Bedeutung und wuchs zu einer königlichen Pfalz heran, die in den Quellen Compendium palatium genannt wurde.[10] Dagobert I. bewahrte dort seinen Königsschatz auf, den seine Söhne im Jahr 639 unter sich aufteilten. Allerdings konnte der Standort dieser Pfalz, bei der es sich nicht um einen Palast, sondern mehr um eine Art Landhaus gehandelt hat,[11] bisher nicht lokalisiert werden. Unter den Karolingern war Compiègne ein Zentrum ihrer Herrschaft und diplomatischer Mittelpunkt des westlichen Frankenreichs. So ist zum Beispiel für das Jahr 757 der Empfang einer Gesandtschaft des byzantinischen Kaisers Konstantin V. belegt.[12]

Am 5. Mai 877[12] stiftete Karl der Kahle in Compiègne die Abtei Notre-Dame (später Saint-Corneille), deren Klosterkirche zugleich als königliche Kapelle diente. Zudem ließ er am Ufer der Oise eine neue Königsresidenz errichten, die sich am Vorbild der Aachener Pfalz seines Großvaters Karls des Großen orientierte und seine Lieblingsresidenz wurde.[8][13] 877 wurde Ludwig II. in der Klosterkirche zum König der Westfranken gekrönt. Er starb nur zwei Jahre später in Compiègne und wurde in der Abtei begraben. Ähnliches gilt für den letzten Karolinger auf dem französischen Thron: Auch Ludwig V. wurde in der Klosterkirche in Compiègne gekrönt und nach seinem Tod 987 dort bestattet. 888 fand dort zudem die Königskrönung Odos statt.

Zu Beginn des 10. Jahrhunderts wurden Teile der Burg und des Klosters bei normannischen Überfällen zerstört. Die Schäden ließ Karl III. in der Folgezeit beheben. Erneute Zerstörungen mussten die Abtei und die Königsresidenz durch einen Vergeltungsschlag des römisch-deutschen Kaisers Otto II. im Jahr 978 hinnehmen. Dieser ließ Compiègne angreifen und in Brand stecken, nachdem König Lothar im Sommer des Jahres Aachen hatte überfallen lassen. Nach dem Tod Ludwigs V. bestiegen die Kapetinger den französischen Thron und hielten Compiègne die Treue. Philipp August, der in der dortigen Klosterkirche getauft worden war, ließ die Befestigungen der Stadt erweitern und verstärken sowie einen runden Donjon errichten, um die Brücke über die Oise zu kontrollieren. Die Ruine dieses mächtigen Rundturms steht an der heutigen rue de Jeanne d’Arc und wird Beauregard-Turm (französisch tour de Beauregard) oder auch tour de Jeanne d’Arc genannt. Ab 1300 hielt Philipp der Schöne den flandrischen Grafen Guido I. in dem Donjon gefangen. Guido starb dort 1305, weil er sich weigerte, das enorm hohe Lösegeld zu zahlen.[14]

Ludwig der Heilige machte nach seiner Krönung in Reims im November 1226 Station in Compiègne und begründete damit eine Tradition, die noch viele Jahrhunderte lang durch die französischen Monarchen fortgeführt wurde. Zu Ludwigs Zeiten war die alte Karolingerresidenz bereits völlig verschwunden. Sie war 1150 in den Besitz der Benediktiner von Saint-Denis gekommen, welche die vorherige Kongregation von Saint-Corneille abgelöst und an der Stelle ein Hôtel-Dieu errichtet hatten. Ludwig ließ den Beauregard-Turm teilweise schleifen und niederlegen und schenkte ihn 1260 schließlich dem Dominikanerorden für die Gründung eines eigenen Klosters.[15] Die Könige kamen nun immer häufiger nur noch zur Jagd nach Compiègne und wohnten während ihrer Aufenthalte in einer kleinen Jagdresidenz außerhalb der Stadt am Rande des Waldes. Das Royallieu genannte Gebäude besaß eine eigene Kapelle, welche die Wiege für eine spätere Abtei gleichen Namens war und einem heutigen Stadtteil von Compiègne den Namen gab. Der Jagdsitz war ein schlichter Bau und nicht groß genug, um dort große Versammlungen abhalten zu können, deshalb nutzte Ludwig IX. für solche Zwecke die Abtei Saint-Corneille.[16]

Mittelalterlicher Neubau am heutigen Standort

Royallieu war für eine angemessene Hofhaltung des Königs nicht nur zu klein, sondern auch zu unsicher, weil es außerhalb der schützenden Stadtmauern lag. Karl V. entschloss sich deshalb dazu, eine neue, größere Residenz in Compiègne zu errichten. Zu diesem Zweck kaufte er 1374 von der Abtei Saint-Corneille ein Grundstück im nordöstlichen Bereich der Stadt und gab den Befehl, nicht nur die Stadtmauern weiter zu verstärken, sondern auch auf dem erworbenen Land einen Neubau zu errichten. Dieser war beim Tod Karls im Jahr 1380 nicht vollständig fertig und stand dort, wo sich auch das heutige Schloss befindet. Es handelte sich um eine Anlage, deren vier unregelmäßig angeordnete Flügel einen Innenhof umschlossen. Die schlichten Bauten nahmen ungefähr jenen Platz ein, der heute durch den Ehrenhof belegt wird. 1382 versammelte Karls Sohn Karl VI. dort die Generalstände. 1406 fand in der königlichen Residenz die Hochzeit der Prinzessin Isabella, Witwe des englischen Königs Richard II., und ihres Cousins Karl, dem späteren Herzog von Orléans, statt. Im gleichen Jahr wurde dort auch die Verlobung von Isabellas jüngerem Bruder Johann mit Jakobäa von Bayern gefeiert. Während der Auseinandersetzungen zwischen den Bourguignons und den Armagnacs wurde die Anlage stark beschädigt, aber wieder aufgebaut. Das gleiche Schicksal ereilte sie auch im Hundertjährigen Krieg: Innerhalb von 16 Jahren wurden Stadt und Residenz viermal von englischen Soldaten erobert und genauso oft von französischen Truppen zurückerobert.[12] Ohne Schäden ging dies nicht einher.

Im Großen und Ganzen behielt die Louvre (von französisch l’œuvre,[17] deutsch: das Werk) genannte Residenz bis in das 17. Jahrhundert ihre mittelalterliche Form.[18] Die französischen Könige der Renaissance fügten zwar einige Erweiterungen hinzu, aber diese änderten das Aussehen nur wenig. So ließ zum Beispiel Franz I., der oft zur Jagd nach Compiègne kam, das damalige Hauptportal mitsamt zwei Flankierungstürmen bauen und etwa in der Mitte des heute cour de la Régie genannten Hofs ein Ballhaus errichten.[19][20] Unter Karl IX. wurde mit dem etwa 6 Hektar[21] großen Garten des Königs (französisch jardin du Roi) der Grundstein für den heutigen Schlosspark gelegt, doch die Gebäude veränderte auch dieser König nicht. Heinrich III. rief in Compiègne 1576 noch einmal die Generalstände zusammen, danach verfiel die meist ungenutzte Königsresidenz allmählich und war bald nicht mehr bewohnbar. Heinrich IV. ließ deshalb 1598 einige Reparaturen durchführen.[21] Ludwig XIII. verbannte im Februar 1631 seine Mutter Maria de’ Medici nach dem Journée des dupes vom Hof und stellte sie in Compiègne unter Hausarrest, von wo ihr am Abend des 18. Juli die Flucht nach Brüssel gelang. Anlässlich seines letzten Besuchs in Compiègne gab Ludwig XIII. im Oktober 1641 die Order, „das Schloss zu reparieren und in einen guten Zustand zu versetzen“ („faire réparer le chasteau et le mettre en bon ordre“).[22] Vermutlich wurde dieser Befehl nach seinem Tod unter seiner Witwe Anna von Österreich als Vormund des jungen Ludwig XIV. ausgeführt, denn ab 1646 erfolgten größere Umbauten im Inneren der Residenz, deren Arbeiten ab 1650 intensiviert und gegen 1655 beendet waren.[23] Während der Fronde flüchtete Anna von Österreich mit ihrem Sohn und Kardinal Mazarin aus Paris und bezog ab August 1652 in Compiègne Quartier. Mazarin wählte die Residenz auch als Ort der Heirat seiner Nichte Laura Martinozzi mit Alfonso IV. d’Este, dem Herzog von Modena, im Mai 1655.

Ludwig XIV. kam während seiner Regierungszeit regelmäßig nach Compiègne, um im nahe gelegenen Wald seiner Leidenschaft für die Jagd nachzugehen. Insgesamt sind 65 Aufenthalte des Sonnenkönigs überliefert.[24] Ab 1666 weilte er jedoch nicht nur zum Jagen dort, sondern hielt die sogenannten Lager von Compiègne (französisch camps de Compiègne), groß angelegte militärische Übungen, im Umfeld der Stadt ab. Eines dieser Manöver fand vom 28. August bis zum 22. September 1698 statt und wurde durch die Beteiligung von rund 60.000 Soldaten geradezu legendär.[25] Einhergehend mit den militärischen Operationen fanden in der Zeit der Übungen prunkvolle Feste in Compiègne statt. Trotz seiner häufigen Aufenthalte hegte Ludwig XIV. keine sonderliche Vorliebe für den Ort, sondern sagte einmal: „In Versailles logiere ich wie ein König, in Fontainebleau wie ein Fürst, in Compiègne wie ein Bauer“ (französisch „Je suis logé à Versailles en roi, à Fontainebleau en prince, à Compiègne en paysan“).[26] Er ließ auch nur marginale Arbeiten an der Residenz durchführen, zu denen der Bau einer Ehrentreppe zählte. Ansonsten beschränkte er die Ausgaben für Compiègne auf die Kosten für kleinere Unterhaltungsarbeiten, jedoch entstanden in der Stadt zahlreiche neue Häuser und Hôtel particuliers, um den großen Hofstaat und die vielen politischen Berater während der Lager von Compiègne beherbergen zu können. Nach dem großen Militärlager von 1698 war die Residenz zehn Jahre lang ungenutzt und stand leer. Erst im Oktober 1708[20] sah sie mit dem bayerischen Kurfürsten Maximilian II. Emanuel einen neuen Bewohner, der nach der verlorenen Schlacht von Höchstädt vor den Siegern fliehen musste. Er fand in Compiègne in dem einstigen Appartement der Königin für mehr als sechs Jahre Asyl, ehe es ihm der Friede von Baden erlaubte, im März 1715 nach Bayern zurückzukehren.

Umgestaltung und Erweiterung zum klassizistischen Schloss

13 weitere Jahre lang war die Anlage ungenutzt, ehe 1728 Ludwig XV. erstmals nach Compiègne kam. Wie sein Großvater war er ein leidenschaftlicher Jäger, und weil es ihm dort so ausnehmend gut gefiel, hielt er sich fortan alljährlich für ein bis zwei Sommermonate zur Jagd in Compiègne auf. Ludwigs Frau Maria Leszczyńska teilte die Liebe ihres Mannes für die Anlage, sie war auch ihre bevorzugte Residenz.[27] Die im Kern immer noch mittelalterlichen Gebäude waren aber gänzlich unmodern und unkomfortabel, deshalb beauftragte Ludwig XV. Robert de Cotte im Jahr 1729 mit Entwürfen für einen Neubau.[28] De Cottes Pläne sahen ein Schloss vor, das einen Grundriss in der Form eines Andreaskreuzes besaß und damit Ähnlichkeit zum Schloss Stupinigi in Turin aufwies, doch der Vorschlag wurde niemals realisiert. Stattdessen ließ Ludwig XV. ab 1733 erst einmal einige Renovierungen im Inneren der bestehenden Anlage unter der Führung von Nicholas d’Orbay vornehmen und gab de Cottes Nachfolger als erster Architekt des Königs (französisch premier architecte du Roi), Jacques V. Gabriel, den Auftrag, einen zweiten Entwurf für einen Neubau vorzulegen. Gabriel plante außerhalb der Stadt ein großes, neues Schloss am Rande des Waldes, dessen Bau mit rund vier Millionen Livres veranschlagt wurde.[29] Es scheint, als sei dem König diese exorbitante Summe zu hoch gewesen, und er lehnte den Plan 1740 aus Kostengründen ab.[28]

Noch während Gabriel mit den Entwürfen für einen vollständigen Neubau beschäftigt war, begannen ab 1736 Erweiterungen an der bestehenden Residenz, die auch auf seinen Plänen basierten. Die Bauaufsicht über die 2000 dafür beschäftigten Arbeiter lag einmal mehr bei Nicholas d’Orbay.[30] Bis 1740 entstanden die Gebäude rund um den Orangeriehof (einschließlich eines sich nördlich daran anschließenden neuen Ballhauses) und derjenige Gebäudeflügel, in dem sich heute die Ballgalerie befindet. Außerdem wurde das Appartement des Königs vergrößert. Die Kosten für diese Maßnahmen beliefen sich auf 300.000 Livres.[29] Mit weiteren 1,2 Millionen Livres schlugen noch einmal die Neubauten für Ludwigs Minister und den Verwaltungsstab in der Nähe des Schlosses zu Buche.[29] 1738 wurde zudem mit dem Bau der Großen Pferdeställe (französisch grands écuries) südlich der Residenz begonnen.[31] Trotzdem blieb die Anlage zu klein, um eine angemessene Hofhaltung zu erlauben, weshalb der König nach 1740 wieder diverse Vorschläge erarbeiten ließ, um der Platznot in Compiègne endgültig ein Ende zu bereiten, doch nicht einer davon wurde umgesetzt. So wurde die Residenz zunächst weiter in kleinen Schritten nach anfallendem Bedarf geändert. 1745 gab der König den Auftrag für einen weiteren Ausbau, um zwei neue Appartements zu schaffen, die für seinen Sohn, den Dauphin Louis Ferdinand, und dessen erste Frau Maria Theresia Rafaela von Spanien bestimmt waren. Die Arbeiten dazu waren 1747 beendet.[32] Erst im Oktober 1751 fand der König an einem Entwurf Ange-Jacques Gabriels, der seinen Vater Jacques V. nach dessen Tod 1742 als ersten Architekten des Königs ersetzt hatte, Gefallen. Das Projekt im Stil des klassizistischen Barocks orientierte sich im Wesentlichen an dem Dreiecksgrundriss der bestehenden, spätmittelalterlichen Anlage. Die Arbeiten zur Umsetzung des Plans begannen noch im November des gleichen Jahres.[33] Sie schritten aber nur sehr langsam voran, weil das Schloss weiterhin für die häufigen königlichen Jagdgesellschaften genutzt wurde und diese Aufenthalte durch die Bauarbeiten nicht beeinträchtigt werden durften. Bis 1755 wurde die erste Hälfte des heutigen Marschallsflügels als Appartements für Ludwigs Töchter errichtet, die Gartenfassade des Appartements des Dauphins und seiner zweiten Frau Maria Josepha von Sachsen fertiggestellt und ein Flügel am Orangeriehof um eine Etage aufgestockt, um dort ein Appartement für Ludwigs Mätresse Madame de Pompadour einzurichten. Durch Ausbruch des Siebenjährigen Krieges verlangsamte sich der Umbau und kam 1757 vollends zum Erliegen.[34] Erst nach Ende des Krieges 1763 wurden die Bauarbeiten wieder aufgenommen und einer der beiden Pavillons an der Südseite des Schlosses vollendet. Bis 1770 kam die Fertigstellung des westlichen Teils des Südflügels am heutigen Place d'Armes hinzu.[35] In jenem Jahr arrangierte Ludwig XV. am 14. Mai das erste Zusammentreffen des französischen Thronfolgers Ludwig XVI. mit seiner frisch angetrauten österreichischen Braut Marie-Antoinette im Schloss.

Beim Tod des Königs im Jahr 1774 waren die Um- und Ausbaumaßnahmen in Compiègne noch lange nicht abgeschlossen. Ludwig XVI. ließ die unter seinem Großvater begonnenen Arbeiten nach den Originalplänen weiter fortführen, auch als Ange-Jacques Gabriel 1775 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt aufgab. Die Oberaufsicht über die Baustelle lag danach eine geraumer Zeit bei Jérôme Charles Bellicard, einem Mitarbeiter der Bâtiments du Roi, der diese Position auch schon einige Jahre vor Gabriels Weggang als dessen Vertretung ausgefüllt hatte. 1776 wurde er durch Gabriels Schüler und Kompagnon Louis Le Dreux de la Châtre ersetzt.[36] Dieser führte die Arbeiten unter Berücksichtigung der Pläne seines Lehrers weiter fort und ergänzte sie durch korrespondierende Details, sodass Schloss Compiègne trotz seiner Entstehungszeit im Rokoko von außen einen nüchternen Eindruck macht und die Innenräume im Louis-quinze-Stil anstatt im Stil des Louis-seize eingerichtet waren. Bis 1780 entstand südlich des Appartements des Königs ein neuer Flügel mit Blick auf den Garten, dessen Innenausbau 1784 beendet war.[35][37] Marie-Antoinette wählte diesen als neues Domizil, weshalb er nachfolgend Flügel der Königin (französisch aile de la Reine) genannt wurde. Zeitgleich wurde der Südost-Flügel am Ehrenhof umgestaltet und mit dem Flügel der Königin durch einen dritten Trakt samt Pavillon verbunden. Bis August 1783[37] erfuhren auch die Räume des Appartements des Königs eine komplette Umgestaltung. Gleichzeitig wurde dieses um diverse Zimmer erweitert. Dazu wurde der Gebäudetrakt an der Nordost-Seite des sogenannten Königlichen Hofs (französisch cour royale, heute Ehrenhof genannt) in der Zeit von 1781 bis 1785 vollkommen umgestaltet und die Räume im ersten Obergeschoss dem königlichen Appartement zugeschlagen. Im Oktober 1783 begannen zudem die Arbeiten zur Niederlegung des Flügels, der den Königlichen Hof bis zu jenem Zeitpunkt an der Westseite begrenzt hatte. Durch seinen Abriss entstand der heutige Ehrenhof, der 1785 an der Südwest-Seite durch eine doppelte Kolonnade abgeschlossen wurde. Die letzte große Baumaßnahme begann schließlich 1785 mit dem Bau des sogenannten Küchenflügels (französisch aile des Cuisines) an der Nordwest-Seite der Anlage, der neben der Küche sämtliche Wirtschaftsräume des Schlosses aufnehmen sollte. Sein Rohbau war schon im darauffolgenden Jahr fertiggestellt.[38] Die wichtigsten Bauarbeiten der Neugestaltung waren bis 1788 abgeschlossen. Innenausbau, Dekorationsarbeiten und Möblierung dauerten aber noch bis 1792.[39] Ange-Jacques Gabriel hatte in seinen Entwürfen auch noch den Neubau einer Kapelle und die Umgestaltung des Platzes südliches des Schlosses vorgesehen, doch diese Pläne wurden nie verwirklicht. Auch die Anlage des von ihm geplanten französischen Gartens blieb wegen finanzieller Schwierigkeiten in den Kinderschuhen stecken.

Erste Republik und napoleonische Zeit

Ludwig XVI. beabsichtigte, Compiègne zu seiner Hauptresidenz zu machen. Die französischen Kronjuwelen waren bereits in das Schloss gebracht worden,[40] aber der Ausbruch der Französischen Revolution machte dem König einen Strich durch die Rechnung. Im August 1792 wurde ihm die Verfügungsgewalt über das Schloss entzogen und an das Innenministerium übertragen.[39] Die Wirren der Revolutionsjahre überstand die Anlage – im Gegensatz zu vielen anderen Königsresidenzen – vollkommen unbeschadet. Als man 1798 plante, im Schloss das „Fest der Souveränität des Volkes“ (französisch fête de la souveraineté du peuple) zu feiern, mussten die Organisatoren feststellen, dass der Palast dafür ungeeignet war, weil noch allerorten die Fleur-de-Lys, das Symbol der französischen Monarchie, zu sehen war.[40] 1793 bis 1794 waren Kranke und Verletzte der Nordarmee im Schloss untergebracht, anschließend wurde das Mobiliar in der Zeit vom 20. Mai bis zum 13. September 1795 komplett verkauft.[39] Auch die Kunstwerke sollten entfernt und in den Louvre gebracht werden, doch das geschah niemals. Vom 18. August bis zum 5. Dezember des Jahres 1798 diente ein Teil des Schlosses dann als Kaserne für das Erste Freiwilligenbataillon aus dem Département Seine-et-Oise.[39] Nachdem die Soldaten die Gebäude wieder geräumten hatten, wurde dort 1799 eine Militärschule (französisch prytanée militaire) eingerichtet, die am 25. Februar 1803[39] in eine Hochschule (französisch école des arts et métiers) umgewandelt wurde.

Mit der Proklamation des Ersten Kaiserreichs erfolgte die Aufnahme des Schlosses in die kaiserliche Domäne (französisch domaine impérial) und stand damit Napoleon zur persönlichen Verfügung. Der Kaiser ernannte – auch auf Wunsch seiner Frau Joséphine de Beauharnais – Louis Martin Berthault, der zuvor schon in Schloss Malmaison tätig gewesen war, am 25. August 1806[41] zum Architekten des Schlosses Compiègne. Unter der Oberaufsicht von Pierre-François-Léonard Fontaine sollte er die Anlage zu einer kaiserlichen Residenz verändern, die dem Geschmack der Zeit entsprach und der hohen Stellung seines neuen Eigentümers angemessen war. Dazu musste zuerst einmal die in den Gebäuden beheimatete Hochschule ausziehen und wurde am 8. Dezember 1806[42] nach Châlons-sur-Marne (heute Châlons-en-Champagne) verlegt. Am 12. April 1807 genehmigte Napoleon für die anstehenden Veränderungen in Compiègne ein Budget von 400.000 Francs.[43] Im November des gleichen Jahres legte Berthault den Entwurf für einen bis zu jenem Zeitpunkt nicht vorhandenen Festsaal, die Ballgalerie, vor.[44] Nach Zustimmung des Kaisers wurden dafür die bisherigen, über zwei Geschosse verteilten Appartements des Grafen und der Gräfin von Artois beseitigt und Ende 1809 mit dem Bau des neuen Saals begonnen. Sein Rohbau war im März des darauffolgenden Jahres fertiggestellt.[45] Für die Um- und Neugestaltung sämtlicher Innenräume berief Berthault die Brüder Étienne und Jacques-Louis Dubois, mit denen er zuvor schon in Malmaison zusammengearbeitet hatte. Außerdem engagierte er für Decken- und Wanddekorationen die Maler Pierre-Joseph Redouté und Anne Louis Girodet. Diese hatten gleich von Beginn ihrer Tätigkeit an alle Hände voll zu tun, denn das ehemalige Appartement der Königin sowie die Appartements der Kinder Marie-Antoinettes sollten binnen kürzester Zeit neu gestaltet werden, um dort ab Juni 1808 den ehemaligen spanischen König Karl IV. und seine Familie beherbergen zu können. Napoleon hatte dem abgesetzten Monarchen Compiègne als Wohnsitz angeboten. Der Ex-König zog aber schon drei Monate später im September weiter in den Süden Frankreichs. Nur seine Tochter Maria Luisa, Witwe des 1803 verstorbenen Königs von Etrurien, blieb noch bis zum 4. April 1809 in Compiègne.[46]

Nach dem Weggang Karls IV. wurden die von ihm bewohnten Teile des Schlosses noch einmal vollständig umgestaltet, um dort ein Appartement für die Unterbringung ausländischer Herrscher einzurichten. Nach Napoleons Willen sollte dort die am prächtigsten möblierte Raumabfolge des Hauses („le plus sompteuse meublé de la maison“[47]) eingerichtet werden. Schon ab dem Frühjahr des Jahres 1807 wurde das ehemalige Appartement des Königs umgestaltet. Dieses hatte sich Napoleon symbolträchtig als neues Domizil gewählt und wurde entsprechend fortan Appartement des Kaisers genannt. Die nördlich benachbarte Raumabfolge sollte das Appartement Joséphines werden und erhielt deshalb den Namen Appartement der Kaiserin. Die dortigen Umgestaltungen begannen 1808 und wurden noch einmal intensiviert, nachdem sich Napoleon von seiner ersten Frau getrennt und beschlossen hatte, seine Verlobte, die Prinzessin Marie-Louise von Österreich, am 27. März 1810 in Compiègne zu empfangen. Insgesamt waren 300 Arbeiter[48] auf der Baustelle beschäftigt, deren Betrieb von Napoleon persönlich überwacht wurde. Die Arbeiten endeten 1810, und noch heute künden Napoleons Initialen an vielen Stellen des Schlosses von den unter ihm vorgenommenen Veränderungen. Länger als die baulichen Umgestaltungen dauerten die Arbeiten im Schlossgarten. Von dem unter Jacques V. Gabriel begonnenen französischen Garten war kaum etwas übrig geblieben. Deshalb hatte Napoleon seinen Architekten Berthault auch damit beauftragt, den Schlossgarten neu anzulegen, wobei eine gestalterische Verbindung des Gebäudekomplexes mit dem benachbarten Wald von Compiègne geschaffen werden sollte. Berthault ließ den Schlosspark ab Januar 1812[49] im Englischen Landschaftsstil neu gestalten und bepflanzen und schuf bereits 1810[50] auf Wunsch Napoleons eine über vier Kilometer lange Sichtschneise von der Schlossterrasse zum und durch den Wald; die sogenannte avenue des Beaux Monts. Um mit der Kutsche vom Wald direkt bis an das Schloss heranfahren zu können, ließ der Kaiser außerdem eine breite Rampe mittig hinauf zur Terrasse legen. Nach Abschluss aller Arbeiten war der Schlosspark von Compiègne ähnlich groß wie die Pariser Tuilerien.[51]

Das Kaiserpaar nutzte die Schlossanlage mit Ausnahme kurzer Aufenthalte bei Durchreisen aber kaum. Von November 1813 bis Januar 1814 logierte dort der aus seinem Königreich Westphalen vertriebene Bruder Napoleons, Jérôme Bonaparte, nachdem sich schon dessen Frau Katharina von Württemberg im März 1813 für ein paar Tage in Compiègne aufgehalten hatte.[52] Im Zuge der Befreiungskriege belagerten im März/April 1814 18.000[53] preußische Soldaten Schloss und Stadt. Der Major François Ot(h)enin konnte der Übermacht zunächst standhalten und einen ersten Angriff zurückschlagen, aber am 4. April musste die Stadt schließlich doch kapitulieren.[54] Bei den damit verbundenen Kämpfen wurde die Anlage jedoch nur leicht beschädigt.

Restauration und Julimonarchie

Nach seiner Rückkehr aus dem englischen Exil machte Ludwig XVIII. Ende April 1814 auf seinem Weg nach Paris für kurze Zeit Station im Schloss Compiègne. In seinem Gefolge befand sich Ludwigs Nichte Marie Thérèse Charlotte de Bourbon, Herzogin von Angoulême und Tochter Ludwigs XVI., die schon in ihren Kindertagen im Schloss gewohnt hatte. Dort empfing der neue König auch den russischen Zaren Alexander I., ehe er am 2. Mai seinen Weg in die Hauptstadt fortsetzte.[55] Ludwig XVIII. war es auch, der damit begann, die napoleonischen Symbole am architektonischen Dekor des Schlosses entfernen zu lassen, jedoch wurde dies nie vollständig durchgeführt, sodass auch heute noch oft die Initialen Napoleon Bonapartes dort zu finden sind.[55]

In den Folgejahren wurde Compiègne bis 1824 lediglich selten und immer nur für wenige Tage von der Königsfamilie genutzt, die zu diesen Aufenthalten mit kleinem Staat anreiste. Erst unter Karl X. wurden die Aufenthalte wieder länger und häufiger. Wichtigstes Ereignis während der Julimonarchie war am 9. August 1832 die Hochzeit der Prinzessin Louise d’Orléans, Tochter Louis-Philippes I., mit Leopold I., König der Belgier, in der Schlosskapelle. Louis-Philippe beauftragte zu diesem Anlass Frédéric Nepveu, seit Mai 1832 Architekt des Schlosses,[56] nicht nur mit der Instandsetzung der Kapelle, sondern auch mit der Umgestaltung des Ballhauses zu einem Theater. Nepveu hatte dafür nur wenige Wochen zur Verfügung, und die Arbeiten dazu waren bei weitem noch nicht beendet, als das Theater am 10. August 1832 mit den Aufführungen zweier komischer Opern eingeweiht wurde.[57] Richtig fertiggestellt war der Umbau erst im Jahr 1835.[57]

Erneute Blüte im Zweiten Kaiserreich

Zu Beginn der Zweiten Republik wurde Schloss Compiègne 1848 Nationaleigentum, und fortan kümmerte sich ein eingesetzter staatlicher Verwalter darum. Es entstand der Plan, aus dem Schloss ein staatliches Rentnerheim zu machen, doch dieser wurde nie umgesetzt.[58] Der damalige Staatspräsident und spätere Kaiser Charles Louis Napoléon ließ die Gebäude zur Besichtigung freigeben, und so zählten die historischen Appartements im Jahr 1849 schon 2000 Besucher.[58] Ein Jahr nach seinem Staatsstreich weilte der neue Kaiser der Franzosen im Dezember 1852 für einen ersten längeren Aufenthalt in Compiègne. Unter den eingeladenen und mitgereisten Gästen befand sich auch eine junge spanische Gräfin namens Eugénie de Montijo, die Napoléon III. schon im Monat darauf durch Heirat zur Kaiserin der Franzosen machte. Ab 1856 lud das Paar alljährlich im Herbst zu großen Jagdfestlichkeiten nach Compiègne. Diese sogenannten series waren einwöchige Treffen im November und Dezember, zu denen jeweils um die hundert Personen geladen waren und die in vier bis sechs hintereinander folgenden Wochen stattfanden. Die Gäste waren Politiker, Diplomaten, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler, aber auch hochgestellte Militärs und ausländische Könige und Fürsten. Zu ihnen zählten unter anderem der preußische König Wilhelm I., Ludwig II. von Bayern, der österreichische Kaiser Franz Joseph I., Giuseppe Verdi, Eugène Delacroix, Franz Xaver Winterhalter, Gustave Flaubert, Alexandre Dumas, Louis Pasteur und Marschall Patrice de Mac Mahon. Bis zu 900 Personen waren während der séries im Schlosskomplex untergebracht.[5] Sie alle wurden mit einem Sonderzug vom Pariser Gare du Nord nach Compiègne gebracht, wo sie Jagdausflüge, Spiele, Konzerte und Theateraufführungen in recht formloser Atmosphäre erwarteten. Zur Unterhaltung zählten auch Ausflüge nach Pierrefonds, um die Fortschritte der Schlossrestaurierung zu begutachten, oder zu Ausgrabungen unter Albert de Roucy, die Napoleon III. initiiert hatte, zum Beispiel Champlieu (Gemeinde Orrouy) und Mont-Berny. Zur Zerstreuung der Gäste diente ebenso Prosper Mérimées berühmtes Diktat, ein Text, der mit zahlreichen sprachlichen Schwierigkeiten gespickt war und der von keinem der Anwesenden fehlerfrei zu Papier gebracht werden konnte. Napoleon III. machte 42 Fehler, seine Frau 62. Besser schnitt Alexandre Dumas mit 24 Fehlern ab. Das beste Ergebnis dieses Diktats lieferte aber ein Ausländer: Der Text des österreichischen Botschafters Richard Klemens von Metternich wies nur drei Fehler auf.[59]

Nach und nach veränderte das Kaiserpaar die Möblierung ihrer Appartements. Besonders Kaiserin Eugénie brachte sich bei der Umgestaltung mit ein. Sie ersetzte das veraltete und unmoderne Mobiliar aus napoleonischer Zeit durch Möbel im Stil des Zweiten Empires und mischte dieses mit Stücken im Louis-seize-Stil, die sie zum Andenken an die von ihr bewunderte Marie-Antoinette anschaffen ließ. Darunter waren auch Original-Stücke aus dem Besitz der ehemaligen Königin aus dem Schloss Saint-Cloud. Im zweiten Obergeschoss des gartenseitigen Flügels ließ Napoleon III. ein Rauchzimmer für die männlichen Gäste der séries einrichten. Auch architektonisch hinterließ er seinen Fingerabdruck. Er beauftragte den Architekten Jean-Louis Victor Grisart[60] 1858 mit der Errichtung eines Verbindungsbaus zwischen dem Küchenflügel und jenem Trakt des Schlosses, der die Ballgalerie beheimatete. Im darauffolgenden Jahr war der Bau fertiggestellt und stand an jener Stelle, die Ange-Jacques Gabriel für eine nicht realisierte neue Schlosskapelle vorgesehen hatte. Der Verbindungsbau zerschnitt den damaligen Küchenhof in zwei Teile, von denen der südlichere seither cour de la Régie genannt wird. Das Erdgeschoss des Neubaus diente als Unterkunft für Offiziere,[5] während das Obergeschoss von einem einzigen großen Raum eingenommen wurde. Dieser erhielt den Namen Natoire-Galerie, nach dem dort aufgehängten Gemäldezyklus des Malers Charles-Joseph Natoire. In der erst unter Grisarts Nachfolger Gabriel-Auguste Ancelet eingerichteten Galerie fanden im Zweiten Kaiserreich Soiréen und Konzerte statt, oder sie wurde bei kleineren Gesellschaften als Speisesaal genutzt. 1866 nahm Napoleon III. eine noch viel größere architektonische Veränderung in Angriff: den Bau eines neuen und größeren Schlosstheaters, weil das alte im ehemaligen Ballhaus zu klein geworden war. Der mit dem Entwurf und der Ausführung beauftragte Ancelet machte Anleihen beim Theater von Versailles und begann 1867 mit den Bauarbeiten, die 1870 fast beendet waren.[61] Es fehlte nur noch die Bemalung im Inneren. Die Eröffnung war für 1871 vorgesehen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.

Die ersten Jahre der Dritten Republik

Der Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges und die damit einhergehende Proklamation der Dritten Republik bescherten den Bauplänen Napoleons III. und den ausgelassenen Veranstaltungen in Compiègne ein jähes Ende. Im August wurde ein Lazarett mit insgesamt 300 Betten im Schloss eingerichtet. Es belegte alle größeren Räume der Anlage inklusive Saal der Wachen, Ballgalerie und Natoire-Galerie, wurde aber nie in Betrieb genommen, denn am 20. September 1870 nahmen 300 preußische Soldaten Compiègne ein und besetzten das Schloss für acht Tage.[62] Bei ihrem Abzug nahmen sie zahlreiche Einrichtungsgegenstände mit, darunter auch 900 Wolldecken.[53] Am 20. November bezogen der preußische General Kurt von Manteuffel und sein Generalstab in der Anlage Quartier und blieben dort bis zum 12. März 1871.[53] Während ihres Aufenthalts bedienten sie sich an den noch im Schloss gelagerten Vorräten, unter anderem tranken sie 12.400 Flaschen Wein.[53] Die preußischen Truppen blieben noch bis zum 7. Oktober. Während sie im Schloss untergebracht waren, brach ein Feuer aus und vernichtete ein rund zehn Meter langes Stück des Dachstuhls.[62]

Nach dem Krieg wurden 1874 im Saal der Wachen ein gallo-römisches Museum und im Vestibül ein Khmer-Museum eingerichtet, um damit einen Teil der horrenden Unterhaltskosten für den Gebäudekomplex zu erwirtschaften. 1880 kam eine Tapisseriengalerie, 1884 eine Galerie mit Stichen hinzu.[62] Die historischen Appartements konnten schon seit 1871 wieder besichtigt werden. 1889 begann die französische Regierung damit, die wertvolle Inneneinrichtung auf andere Institutionen und Gebäude zu verteilen. Viel Mobiliar und zahlreiche Kunstgegenstände wurden zur Ausstattung von Botschaftsgebäuden und Ministerien genutzt. Den Großteil des Buchbestandes der Schlossbibliothek erhielten die französische Nationalbibliothek (französisch Bibliothèque nationale de France), die Bibliothèque de l'Arsenal und die Bibliothek Sainte-Geneviève. 8900 Bände verblieben zumindest in der Stadt und wurden der dortigen Stadtbibliothek übereignet.[63] 1890 wurden sämtliche Teppiche aus den Großen Appartements entnommen und nach Paris geschickt, damit sich der Präsident der Republik aus dieser Auswahl einige Stücke für seine Residenz aussuchen konnte. Nicht einer der wertvollen Teppiche kehrte aber ins Schloss zurück. Dieses war schließlich vollkommen leergeräumt, sodass für einen dortigen Aufenthalt des russischen Zaren Nikolaus II. und seiner Frau Alix von Hessen-Darmstadt im September 1901 eigens 20 Eisenbahnwaggons mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen herangeschafft werden mussten.[64]

Das 20. Jahrhundert

Während des Ersten Weltkriegs schlug der britische Feldmarschall French ab dem 27. August 1914 mit seinem Stab für drei Tage seine Zelte im Schloss auf, flüchtete dann aber vor anrückenden deutschen Truppen, die Compiègne am 2. September besetzten. Doch auch die deutschen Soldaten blieben nicht lange, denn schon am 12./13. September wurden sie von französischen Dragonern wieder vertrieben.[65] Die französischen Streitkräfte betrieben ab Oktober im Schloss ein Lazarett mit 400 Betten, das dort bis zum 26. März 1917 eingerichtet war.[66] Dann wich dieses dem Grand Quartier Général (GQG), dem Oberkommando der französischen Armee, welches das Schloss im April 1917 bezog und dort bis zum 25. März 1918 blieb, ehe es weiter nach Provins zog.[67] Sowohl unter General Robert Nivelle als auch unter Philippe Pétain diente das einstige Schlafgemach der Königin Marie-Antoinette als Arbeitszimmer. Nach dem Weggang des GQG wurde die Schlossanlage als Hauptquartier der 3. französischen Armee unter General Georges Louis Humbert genutzt.[68] Am 1. September 1918 beschädigten Bombentreffer den Schlosskomplex schwer, allerdings kam die wertvolle Inneneinrichtung nicht zu Schaden, denn diese war ab August 1915 nach Bombenangriffen im März des Jahres nach Paris in Sicherheit gebracht worden. Zu der geretteten Ausstattung zählten nicht nur Möbel, sondern auch Täfelungen und Supraporten. Nach Kriegsende wurde die evakuierte Einrichtung ab April 1919 wieder ins Schloss zurückgebracht. Die Kriegsschäden an den Gebäuden, die derweil durch die Präfektur Oise genutzt wurden, waren noch nicht vollends behoben, als ein Heizofen in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 1919 ein Feuer auslöste, bei dem ein Teil des Appartements des Kaisers ausbrannte. Das Schlafzimmer des Kaisers und das benachbarte Beratungskabinett wurden dabei völlig zerstört, die Möbel konnten aber gerettet werden.

Auch im Zweiten Weltkrieg ließ man das Mobiliar sicherheitshalber aus dem Schloss entfernen. Es lagerte ab 1939 im Schloss Chambord und kehrte nach Ende des Krieges nach Compiègne zurück.[69] Allerdings wurden die einzelnen Möbelstücke in den Nachkriegsjahren nicht unbedingt an ihren historisch angestammten Platz gestellt, sondern willkürlich in den Räumen verteilt. Ab 1945 begann aber zugleich auch eine umfassende Restaurierung der Gebäude und der Innenräume unter dem Architekten Jean Philippot.[48] Dabei kamen für die Wiederherstellung jedes Raums drei mögliche Restaurierungsepochen infrage: die Zeit Ludwigs XVI. (aus dem Zeit Ludwigs XV. war zu wenig erhalten), die Zeit des Ersten Kaiserreichs, aus dem noch zahlreiche Möbelstücke und in vielen Räumen auch die Dekoration erhalten war, oder die Zeit des Zweiten Kaiserreichs, der die Mehrheit der damaligen Einrichtungsgegenstände zuzuordnen war. Die Verantwortlichen fällten diese Entscheidung für jeden Raum einzeln, und so sind heute in den historischen Appartements Einrichtungsensembles aus allen drei Stilepochen anzutreffen. Für deren Wiederherstellung wurden nicht nur das Raumdekor restauriert und aus dem Schloss stammende Möbel sowie Einrichtungsgegenstände wieder zurück nach Compiègne geholt, sondern auch nach Original-Vorlagen Stoffe für die Bespannung von Sitzmöbeln und für die Verwendung als Vorhänge sowie Wandbespannungen neu produziert.


Text: Wikipedia

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