Stalag VIII A (Geschichte)

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Von 1939 bis 1945 sind in diesem Lager schätzungsweise insgesamt bis zu 120.000 Gefangene registriert worden. Die Kriegsgefangenen waren unterschiedlichster Nationalität, darunter Polen, Belgier, Franzosen, Jugoslawen, Soldaten der britischen und sowjetischen Armee, Italiener, Slowenen und Amerikaner.

Der Lageralltag der Insassen des Stalag VIII A war geprägt von schlechten hygienischen und sanitären Bedingungen sowie unzureichender Verpflegung. Massiver Läusebefall und Epidemien von Infektionskrankheiten wie Typhus und Ruhr standen an der Tagesordnung. Die schlechte medizinische Versorgung im Lagerlazarett und die überfüllten Unterkünfte in den Baracken bedingten viele Todesfälle unter den ohnehin geschwächten Gefangenen.

Über 80 % der im Lager registrierten Gefangenen waren außerhalb des Lagers in verschiedenen Arbeitskommandos und Außenlagern in der Stadt Görlitz und im Umland untergebracht. Dort arbeiteten sie als billige Arbeitskräfte in allen Bereichen der Wirtschaft, wie beispielsweise in landwirtschaftlichen oder industriellen Betrieben sowie im Handels- und Transportwesen.

Die Sowjetunion hatte die Genfer Konvention nicht unterzeichnet und somit unterlag die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen nicht dem internationalen Kriegsrecht. In einem durch doppelten Stacheldraht abgetrennten Bereich im östlichen Teil des Lagers waren die sowjetischen und ab 1942 auch die italienischen Kriegsgefangenen untergebracht. Sie hatten keinen Zugang zu den kulturellen Angeboten und zu ärztlicher Betreuung. Die hygienischen Bedingungen in diesem Teil des Lagers waren besonders widrig. Die tausenden sowjetischen Todesopfer wurden in einem ca. 400 m vom Lagergelände entfernten Massengrab verscharrt. Noch heute sind viele Fragen noch nicht beantwortet, die Schicksale der Opfer noch nicht bekannt und Quellen noch nicht ausgewertet.

Nach der Genfer Konvention von 1929, die die Rechte der Kriegsgefangenen definierte, standen den Gefangenen bestimmte kulturelle und sportliche Möglichkeiten sowie spirituelle Betreuung zu. Auch Briefwechsel und der Erhalt von Paketen aus der Heimat und vom Internationalen Roten Kreuz waren in begrenztem Maße möglich. Im Stalag VIII A gab es eine Baracke, die zugleich als Bibliothek und Kapelle diente. Außerdem stand die Baracke 27 B als sogenannte Kulturbaracke für Konzerte und Theatervorführungen zur Verfügung. Aufgeführt wurden klassische Stücke, Satiren sowie klassische und volkstümliche Konzerte. Es gab Poesieabende und Kunstausstellungen.

Zu den bekanntesten kulturellen Ereignissen im Stalag VIII A gehört die Uraufführung des „Quatuor pour la Fin du Temps“ (Quartett auf das Ende der Zeit) am 15. Januar 1941 vor ca. 400 Zuschauern – Kriegsgefangene und Wachpersonal. Dieses weltbekannte Stück der zeitgenössischen Musik wurde von Olivier Messiaen (1908- 1992) unter den widrigen Bedingungen des Lagerlebens im Stalag VIII A weiterkomponiert, vollendet und uraufgeführt. Seit 2008 wird jedes Jahr am 15. Januar das Quartett auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers aufgeführt. Mit diesem Januarkonzert soll an die Geschichte des Lagers und die Schicksale der Gefangenen erinnert werden.

Der Verein MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V. gründete sich 2006, um die Vergangenheit des Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die historische Forschung in Verbindung mit Kultur steht im Vordergrund, um den Menschen eine Möglichkeit zu geben, sich auf lebendige Art und Weise mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ziel ist es, der Geschichte des Lagers und vor allem den einzelnen Opfern ein Gesicht zu geben und gleichzeitig über scheinbare Grenzen hinweg eine gemeinsame Zukunft selbst gestalten zu können. Der Verein, der deutsch- und polnischsprachig arbeitet, widmet sich so vor allem der internationalen Jugendarbeit und musikalischen und geschichtlichen Projekten in der Zwillingsstadt. Jedes Jahr am 15. Januar findet das Januarkonzert statt: Das „Quartett auf das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen wird auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers aufgeführt. Wechselnde Musiker aus Polen und Deutschland spielen das bekannte Werk des französischen Komponisten vor ca. 400 Zuschauern.

Im Sommer wird für Jugendliche aus ganz Europa ein internationales Workcamp WORCATION angeboten. Für zwei Wochen leben die Teilnehmer gemeinsam in Görlitz, arbeiten in Workshops auf dem Gelände des ehemaligen Stalags in Zgorzelec und stellen in einem Metallbauworkshop Skulpturen her, die sich an dem „Quartett auf das Ende der Zeit“ orientieren. Die Freizeit und Verpflegung werden von der Gruppe selbst organisiert. Während dieser Zeit lernen die Jugendlichen die Vergangenheit des Kriegsgefangenenlagers, ihre eigene Kultur und die der anderen besser kennen und können internationale Freundschaften knüpfen. Der MEETINGPOINT organisiert regelmäßig Konzerte mit Musikern aus der ganzen Welt. Jedes Jahr im Sommer wird in Zusammenarbeit mit dem Gerhart Hauptmann Theater Görlitz die KUNSTPAUSE veranstaltet. Kinder und Jugendliche aus der Dreiländerregion präsentieren einen ganzen Tag in Tanz-, Musik- und Theatergruppen kleine und größere Stücke. Das Projekt findet im und um das Theater statt und lädt alle Bewohner der Region ein, traditioneller, regionaler und junger Musik zu lauschen. Weiterhin werden geschichtliche und musikalische Seminare vom MEETINGPOINT angeboten. Am 15. Januar 2015 wurde das Europäische Zentrum für Bildung und Kultur Zgorzelec-Görlitz MEETINTPOINT MUSIC MESSIAEN eröffnet. Das Gebäude bietet Platz für eine Dauerausstellung, weitere wechselnde Ausstellungen, ein offenes Archiv, Multifunktionsräume mit mobiler Bühne und weitere Räume für Seminare und Konferenzen. Das Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers ist natürlich auch ein fester Bestandteil der Ausstellung. Lehrpfade zeigen einzelne Orte des Geländes genauer und führen zu den Metallskulpturen des Künstlers Matthias Beier, die jedes Jahr in Zusammenarbeit mit Jugendlichen während der internationalen Workcamps WORCATION entstehen.

Das Konzept, das Europäische Zentrum für Bildung und Kultur Zgorzelec-Görlitz auf dem Gelände des Stalag VIII A zu gründen, hat zweifelsohne eine zeitlose Dimension und stellt eine für Europa alternative Form des Gedenkens der menschlichen Schicksale und Tragödien im Zweiten Weltkrieg dar. Die Erinnerung an den Ursprung dieses Ortes, durch die Heraushebung der regionalen Geschichte und den Dialog der Sprache der Kunst, wird die Entwicklung des Bewusstseins einer gemeinsamen kulturellen Identität vorantreiben. Dieses deutsch-polnische Projekt einer binationalen Gedenkstätte in der Europastadt ist in dieser Form einmalig und symbolisiert das Zusammenwachsen Europas auf regionaler und internationaler Ebene. Der Kontakt zu den Angehörigen der Kriegsgefangenen ist sehr wichtig für den MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V. Dies soll einen Teil dazu beitragen, dass die Vergangenheit des Kriegsgefangenenlagers nicht in Vergessenheit gerät und gleichzeitig, dass die Möglichkeit der Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft besteht.

Weitere Informationen über aktuelle Projekte und Termine: www.meetingpoint-music-messiaen.net

Quellen: Roman Zgłobicki, Hannelore Lauerwald, Joanna Lusek, MEETINGPOINT MESSIAEN e.V., Fundacja Centrum Wspierania Przedsiębiorczości w Zgorzelecu,Gmina Zgorzelec, Miasto Zgorzelec Text: Luise Klara Maidowski