Aus dem Leben eines Dieners: Unterschied zwischen den Versionen

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Friedrich Wilhelm (Friedel) von Rochow, Diener Friedrich Paul (v. l. n. r.)]]
 
Friedrich Wilhelm (Friedel) von Rochow, Diener Friedrich Paul (v. l. n. r.)]]
 
Mit Recht forderte der Publizist Graf Krockow auch für die „dienstbaren Geister“, die oft über Generationen hinweg auf den Herrensitzen des Landadels, in manch einer Villa der Residenzstädte oder sogar bei einer Herrscherfamilie wirkten, einen Platz in der Geschichte. 1) Mit der Lebensgeschichte des Dieners Friedrich Paul besteht hier die Möglichkeit, dies einzulösen. Leider existieren diesbezüglich nur verhältnismäßig wenig Quellen, war doch der Lebensweg der Diener in der Regel eng mit dem der jeweiligen Herrschaftsfamilie verbunden. Herr Paul wurde schlichtweg zu einer Institution auf Schloß Stülpe, die zu diesem Haus gehört, wie die Sage von der „weißen Frau“. Diese soll aber angeblich nur von Leuten gesehen werden, die auf dem Schloß nichts zu suchen haben. 2)
 
Mit Recht forderte der Publizist Graf Krockow auch für die „dienstbaren Geister“, die oft über Generationen hinweg auf den Herrensitzen des Landadels, in manch einer Villa der Residenzstädte oder sogar bei einer Herrscherfamilie wirkten, einen Platz in der Geschichte. 1) Mit der Lebensgeschichte des Dieners Friedrich Paul besteht hier die Möglichkeit, dies einzulösen. Leider existieren diesbezüglich nur verhältnismäßig wenig Quellen, war doch der Lebensweg der Diener in der Regel eng mit dem der jeweiligen Herrschaftsfamilie verbunden. Herr Paul wurde schlichtweg zu einer Institution auf Schloß Stülpe, die zu diesem Haus gehört, wie die Sage von der „weißen Frau“. Diese soll aber angeblich nur von Leuten gesehen werden, die auf dem Schloß nichts zu suchen haben. 2)

Aktuelle Version vom 15. Dezember 2011, 09:12 Uhr

ca. 1937 Kutscher Hermann Strutz, Friedrich Wilhelm (Friedel) von Rochow, Diener Friedrich Paul (v. l. n. r.)

Mit Recht forderte der Publizist Graf Krockow auch für die „dienstbaren Geister“, die oft über Generationen hinweg auf den Herrensitzen des Landadels, in manch einer Villa der Residenzstädte oder sogar bei einer Herrscherfamilie wirkten, einen Platz in der Geschichte. 1) Mit der Lebensgeschichte des Dieners Friedrich Paul besteht hier die Möglichkeit, dies einzulösen. Leider existieren diesbezüglich nur verhältnismäßig wenig Quellen, war doch der Lebensweg der Diener in der Regel eng mit dem der jeweiligen Herrschaftsfamilie verbunden. Herr Paul wurde schlichtweg zu einer Institution auf Schloß Stülpe, die zu diesem Haus gehört, wie die Sage von der „weißen Frau“. Diese soll aber angeblich nur von Leuten gesehen werden, die auf dem Schloß nichts zu suchen haben. 2)

Diener Paul, so war die kurze Anrede, brachte es auf nahezu 55 Dienstjahre bei der Familie von Rochow und handelte getreu dem Wahlspruch: „Ein Diener ist ein Mensch, der zu seinem Beruf erwählt, einen fremden Willen zu studieren, ihn zufriedenzustellen, und der Dienerberuf hat seine Artisten und Künstler.“ 3) Wie aber wurde jemand zum Diener? Vor allem natürlich wie zum Herrn, durch die Geburt.

Der am 11. Juni 1876 auf dem zum herrschaftlich Rochow’schen Gutskomplex zu Plessow gehörenden Rittergut Krahne bei Brandenburg/Havel als Sohn eines Schäfers geborene Friedrich Paul wurde mit 14 Jahren Diener auf Schloß Stülpe. 4) Ursprünglich zur Jockeyausbildung dorthin gekommen, stellte man fest, daß er sich mehr zum Diener eigne. Sein Herr, Rittmeister a.D. Rochus von Rochow (1856-1901) auf Stülpe war Besitzer von 4.700 Hektar Land. 5) Paul verrichtete damals Tag für Tag seinen Dienst bei ihm; in einfacher Livree, deren Zierat die Knöpfe mit dem Rochow’schen Wappen waren. Als sein Herr im Jahre 1901 verstarb, standen für Paul Veränderungen ins Haus. Die Witwe, Margarete von Rochow, geborene von Lücken (1867-1927), und deren Kinder Anna, Margarete und Hans Wichard nahmen ihren zeitweiligen Wohnsitz in der mecklenburgischen Residenzstadt Schwerin. 6) Kurz zuvor heiratete am 9. Juli 1901 Paul seine Anne, geborene Sorgenfrei (1882-1964), die er in Stülpe kennengelernt hatte. Die Trauung fand in der Schweriner Kirche St. Nikolai statt. Aus der Ehe mit der Tischlerstochter gingen eine Tochter und ein Sohn hervor. 4)

Der neu angestellte königlich-preußische Oberförster Friedrich Dwilling (1861-1940) als Forst- und Gutsverwalter vertrat die Interessen der Rochow’schen Erbengemeinschaft in Stülpe und damit faktisch die Leitung des Besitzes. Um Verhandlungen mit der Ritterschaftsbank und um weitere Verwaltungsfragen bemühte sich ein Cousin des verstorbenen Besitzers, Oberpräsident a.D. Wilhelm von Waldow (1856-1937). 7) Das Herrenhaus zu Stülpe selbst verpachtete man ohne größeres Nebengelaß in jenen Jahren (1903-1915) an einen der wohlhabendsten Männer Brandenburgs, den Rittmeister a.D. Fritz Quirin Forcade de Biaix (1864-1935). 8) Dieser zog danach auf das Gut seiner Mutter in die Nähe von Kassel und stand zuvor beim Leib-Garde-Husarenregiment zu Potsdam in Garnison. 9) Für den Diener Paul ergab sich jetzt ein neuer Arbeitsbereich im gewohnten Ambiente. Denn Friedrich (Fritz) Ludwig von Rochow (1858-1914) wollte seinem Bruder in nichts nachstehen. Und so dienerte Paul ab sofort abwechselnd auf Schloß Plessow bei Werder/Havel und während der Wintermonate im von der Herrschaft bewohnten Haus innerhalb eines Potsdamer Villenviertels, nahe der Glienicker Brücke. 10) So finden wir auch im Potsdamer Adreßbuch von 1912 den herrschaftlichen Diener mit selbiger Berufsbezeichnung wieder. Bis eines Tages im September 1914 auf ungeklärte Weise mehrere Bäume im Plessower Park umknickten, und just an diesem Tag auch Friedrich von Rochow an der Front im Osten starb. 2) Der frühere Regierungsreferendar und jahrzehntelang als Ritterschaftsrat des 5. Departements der Mittelmärkischen Ritterschaftsdirektion tätige Friedrich von Rochow hatte sich, wie damals üblich, freiwillig zu den Waffen gemeldet.

Im Juni 1915 mußte auch Friedrich Paul „zur Fahne“. Bedingt durch seine Größe von 156 Zentimetern stand er als Armierungssoldat im 117. Armeebataillon. 4) Diese Armierungseinheiten wurden als Pionierhilfstruppen eingesetzt. Ein anderer Wahl-Potsdamer diente kurz in gleichen Truppenteilen: Der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht. Nachdem Paul den Weltkrieg glücklich überstanden hatte, ging er ab November 1918 wieder seiner vormaligen Berufung nach. Die Witwe Lisette von Rochow, geborene von Krosigk (1862-1952), bewohnte jetzt in Potsdam ein Haus nahe dem Holländischen Viertel. Ihr Domizil war die Villa in der heutigen Hebbelstraße 39. 11)

Der inzwischen volljährige Hans Wichard von Rochow-Stülpe (1898-1945) übernahm zu diesem Zeitpunkt als Erbe die Güter Plessow und Stülpe. Da der junge Leutnant a.D. bald eine Familie gründete, mußte natürlich ein altbekannter Diener her, dem man auch das notwendige Vertrauen entgegenbringen konnte. Als ständigen Wohnsitz wählten Hans Wichard und Irmgard von Rochow das Schloß Stülpe. Familie Paul wohnte jetzt in einer Gesindewohnung auf dem Gutshof. Als Diener stand nun Friedrich Paul einem kleinen „Hofstaat“ vor. Mit ihm wirkten Kutscher, Chauffeur, Gärtner und viele Mamsells. Er war sozusagen der Chef der „Höfschen“, also der Leute, die im Schloß dienten.

Daß sein Beruf als Diener mehr eine Lebensaufgabe als ein Achtstundenjob war, zeigte sich im damaligen Tagesablauf. Paul schloß in der Frühe auf und abends, wenn notwendig, wieder ab. Er ging immer als letzter in seine Gesindewohnung. Das Vertrauen der Herrschaft ging gar so weit, daß Paul auch den Schlüssel fürs Tafelsilber bekam. Da dieses bekanntermaßen sehr pflegeintensiv ist, schaffte man später sogar eine Putzmaschine an.

Insgesamt aber war das Leben auf einem märkischen Rittergut nicht so prunkvoll wie man vielleicht glaubt. Die viel zitierte preußische Schlichtheit blieb angesagt. Sicher kam zu mancher Jagd auch mancher Gast, meist blieb man jedoch unter sich. In den Sommermonaten zog der komplette Hausstand von Stülpe nach Plessow. Das Herrenhaus dort wurde bis 1935 von der Familie des Schwagers des Herrn von Rochow, Herrn Dr. Otto von Rohr (1891-1941) bewohnt und später unter anderem an die Familie des Eckhardt von Klass (1897-1980) vermietet. 2, 12)

Lassen wir viele Jahre verstreichen, in denen Diener Paul jeden Tag seinen Dienst getan haben wird. Ein Tag aber sollte näher betrachtet werden: Am 1. Oktober 1940 wurde im Stülper Herrenhaus ein besonderes Jubiläum gefeiert. Die Söhne des Hauses führten extra einstudierte Theaterszenen vor. Dargestellt wurden die Szenen des Alltags. Im Mittelpunkt stand jeweils der Diener, denn der beging an diesem Tag sein großes Dienstjubiläum. 2) Seit mittlerweile fünfzig Jahren diente er der Familie von Rochow. Glückwunschpost aus nah und fern traf ein. Sogar „Amtsbruder“ Lüthke aus dem fernen Rumpshagen, Geburtsort der Frau von Rochow, geborene von Gundlach (1901-1955), schickte seine beste Karte nach Stülpe. 4) Doch die Schatten des Krieges wurden bald immer größer. Als der Gutsherr dann schwer verwundet aus dem Stalingrader Kessel heimkehrte, da wird man es auch in Stülpe gewußt haben: Der Krieg ist nicht zu gewinnen. Von Rochow verlor seinen ersten Sohn, sein Diener den einzigen.

Zwei Jahre später stand die Rote Armee vor Stülpe und wollte weiter in Richtung Berlin. In Stülpe wurde ein Flüchtlingstreck zusammengestellt, blieb aber zwischen Holbeck und Jänickendorf stecken und mußte anschließend wieder zum Ausgangsort zurück. Auch Familie Paul war dabei. Frau Irmgard von Rochow und ihre Söhne Bernd, Friedrich (Friedel) Wilhelm und Sieghart mußten aus ihrer angestammten Heimat flüchten. Der Gutsherr Hans Wichard von Rochow-Stülpe fiel als Reservemajor nach einem Ausbruch aus dem Berliner Kessel in den letzten Kriegstagen im Wald des Mühlenbecker Ortsteils Summt und wurde auf dem dortigen Friedhof beerdigt. 2, 13)

Ein anderes Zeitalter hatte begonnen. Die Herrenhäuser in Plessow und Stülpe wurden geplündert. Aus Verärgerung darüber, daß sich auch einige ehemalige Angestellte am Öffnen der herrschaftlichen Porzellanverstecke beteiligten, vermied Friedrich Paul von nun ab das Betreten des Stülper Schlosses. Diese Handlungen konnte er keineswegs mit seiner preußischen Auffassung von Diensttreue vereinbaren.

In seinen letzten Lebensjahren übernahm Herr Paul die Aufgabe des Gemeindedieners in Stülpe. Nach langer Krankheit starb der ehemalige Diener am 26. Januar 1952.


Autor: Andreas Kitzing


Quellen und Literatur:

1) Aus: „Wie’s Gescherr, so der Herr.“ In: Christian Graf von Krockow: Die Reise nach Pommern.- München 1993.

2) Die Angaben beruhen auf mündlichen Aussagen im Gespräch mit Herrn Bernd von Rochow.

3) Eduard von Keyserling: Werke. Herausgegeben von R. Gruenter.- Frankfurt am Main 1973.

4) Aus: Familienarchiv Hans Joachim Strutz, Luckenwalde.

5) Handbuch des Grundbesitzes im Deutschen Reich, Provinz Brandenburg.- Berlin 1896. Zu Rochus von Rochow vgl. auch: Andreas Kitzing: Rochus von Rochow - „Ein sozial denkender Junker“. In: Heimatjahrbuch Teltow-Fläming, 1995, S. 113 ff. .

6) Adreßbuch der Stadt Schwerin von 1913.

7) Gutsarchiv Stülpe/Plessow im Kreisarchiv Teltow-Fläming in Luckenwalde.

8) Jahrbuch des Vermögens und des Einkommens der Millionäre im Königreich Preußen. Erster Band.- Berlin 1913. Vgl. dazu auch Anmerkung Nr. 7.

9) Adreßbuch der Stadt Potsdam von 1903.

10) Adreßbuch der Stadt Potsdam von 1912.

11) Adreßbuch der Stadt Potsdam von 1925.

12) Diese Angabe beruht auf einer mündlichen Aussage im Gespräch mit Herrn Uwe-Jens von Klass. Ein weiterer Mieter war der Bankdirektor Richter aus Berlin.

13) Mitteilung des Standesamtes Mühlenbeck vom 2. März 1946. In: Totenregister Stülpe ab 1866 (Pfarramt Jänickendorf).